Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
geht auf und ab, auf und ab, wie Achterbahn. Kurven sind meistens erst im letzten Moment zu erkennen. Kein Mittelstreifen, dafür am Rand der Strecke rotweiße Begrenzungen.
Die Kurven tragen Namen. Quiddelbacher Höhe. Schwedenkreuz. Metzgesfeld. Bergwerk, da hat sich 1928 Vinzenz Junek in seinem Bugatti den Hals gebrochen. Wippermann. Pflanzgarten, wo es 1958 den armen Peter Collins erwischt hat. Der Asphalt ist fast überall üppig bemalt und beschrieben. Mehrere Male wird einer gewissen »Gaby« gehuldigt, einmal heißt es: »Stefan, gib Gummi!« In der Geraden gehen 120 Sachen, in den Kurven 70, mit Mühe.
Aber das nützt nichts. Die Porsches röhren links und rechts an einem vorbei. Außerdem viele Motorräder. Das einzige Fahrzeug, das sich langsam und vorsichtig durch die Strecketastet, gehört einem holländischen Touristenpaar. Eine Runde im A-Klasse-Mercedes dauert 14 Minuten. Es macht schon Spaß. Es ist wie Carrera-Rennbahn und total anarchistisch. Gefahren wird, so heiß es nur geht, überholt wird, wo und wie es sich gerade ergibt. In den Kurven schleudert man und denkt: »Schon okay. Auf dem Nürburgring nicht zu schleudern, das wäre ja, als ob man einen grünen Porsche fährt.«
Dass so was in Deutschland möglich ist! Es ist dereguliert bis zum Gehtnichtmehr.
Ab 1950 gab es die Formel 1. Der beste Fahrer hieß damals Juan Manuel Fangio. Er war uralt. Das letzte Mal gewann er am Ring mit 46 Jahren. Die Deutschen hatten Graf Berghe von Trips auf Ferrari, geboren in der Nähe von Kerpen, der wegen seiner zahlreichen Unfälle den Spitznamen »Graf Crash« trug. Im Familienwappen stand das Motto: In morte vita, im Tod liegt das Leben, und so ähnlich pflegte Graf Crash die Dinge auch anzugehen. 1961 war er drauf und dran, der erste deutsche Formel-1-Sieger zu werden, das wäre ein nationales Symbol fast von der Größe des Wunders von Bern gewesen. Aber dann kam das Rennen in Monza, wo Graf Berghe von Trips mit Jim Clark zusammenstieß, was Ersteren das Leben kostete.
Immer wieder sagten Rennfahrer: Der Nürburgring ist für die Formel 1 einfach zu gefährlich. Der Ring wurde umgebaut und entschärft, das wichtigste Rennen, der Große Preis von Deutschland, wurde nach Hockenheim verlegt und wieder zurückerobert, jahrelanges Hin und Her. Niki Lauda fuhr auf dem Ring die schnellste Runde aller Zeiten, in 6 Minuten und 59 Sekunden. 1976 hat es ihn im Abschnitt »Bergwerk« schwer erwischt, fast tödlich, das war das Ende des klassischen Rings. Eine neue Strecke wurde gebaut, gleich nebenan,4,5 Kilometer, 14 Kurven. Dort fahren sie jetzt mit der Formel 1 immer den »Großen Preis von Luxemburg«. Aber die Freizeitpiloten wollen natürlich nicht auf die Weicheierpiste.
Neben dem Ring steht ein Funpark mit Rennsimulatoren, Kartbahn und solchem Zeug. Es gibt ein Kino, wo man sich die Szenen der spektakulärsten Unfälle ansehen kann. Gaston, ein Belgier, führt rum und zeigt, dass es in den Formel-1-Wagen einen Trinkknopf gibt. Die Fahrer haben im Ärmel einen Schlauch, der zum Kragen herauskuckt. Wenn sie am Armaturenbrett auf den Knopf drücken, können sie während des Rennens trinken. Gaston sagt: »Klar, jede Woche erwischt es hier welche. Vor ein paar Tagen haben sie zwei Engländer aus der Kurve gekratzt. Aber es steht selten was darüber in der Zeitung.«
Das Dorf Nürburg besteht im Wesentlichen aus der Dorfstraße mit ein paar Seitenwegen. Es trägt erstaunlicherweise den Titel »Luftkurort«. Rundherum erstreckt sich die Rennstrecke, das heißt, es liegt immer ein leichtes Dröhnen in der Kurluft. Bevor die Rennstrecke gebaut wurde, züchteten die meisten Einwohner Kohlrübensamen. Nürburg war ein Kohlrübensamenzüchterdorf. Es schmiegt sich an den Fuß eines Berges, auf dem die Ruine der Nürburg steht.
Das Dorf wirkt auf den ersten Blick unauffällig, bis auf das große BMW-Center. Dann sieht man die Autos der Dörfler, in den Einfahrten. Sie haben Spoiler. Sie haben Alufelgen und Rennlenker. Sie sind tiefergelegt. Das ganze Dorf Nürburg ist ein komplett tiefergelegtes Gemeinwesen.
Da kommt ein Fahrrad, mit Kind. Das Kind sieht normal aus, aber das Fahrrad nicht. Es hat einen Tacho, eine gigantische Gangschaltung, Rückspiegel, vier Katzenaugen und Wimpel und extrabreite Reifen.
Das sind die schnellen Kinder von Nürburg.
Nachts aber gehen überall gebogene Peitschenlampen an, und das am Tag relativ romantische Nürburg leuchtet taghell wie einst die Zonengrenze. Alle
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