Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
die Milchproduktion weiß, Details, die ihr nicht gefallen. Während wir mit dem Jeep Richtung Weide fahren, erzählt sie.
Im Alter von 15 Monaten ist die moderne Kuh erwachsen. Sie wird dann künstlich befruchtet. Mit 24 Monaten kalbt sie, ihr Kalb sieht sie nur kurz oder gar nicht. Es wird aus ihrherausgezogen und mit Milchersatz gefüttert. Die Milch ist nämlich zu wertvoll. Außerdem ist moderne Kuhmilch manchmal ungesund für das Kalb, es bekommt davon Durchfall.
Die moderne Kuh ist kein Produkt der Natur, der Evolution oder eines Gottes. Sie ist eine vom Menschen geschaffene Höchstleistungsmaschine.
Die Kuh steht im Stall. In vielen Fällen wird sie die Sonne erst wieder an ihrem Todestag sehen. Sie sieht, wenn es besonders fortschrittlich zugeht, auch selten einen Menschen. Der Computer teilt ihr Kraftfutter zu, individuell, ein Roboter melkt sie. Sechs Wochen nach der ersten Geburt wird die Kuh wieder befruchtet. Vor der Besamung bekommt sie Hormone, damit es garantiert klappt. Die Kuh muss ihr Leben lang schwanger sein, damit die Milchproduktion keinen Tag nachlässt.
Das Leben einer solchen Milchproduktionseinheit dauert im Durchschnitt drei bis vier Jahre oder vier bis fünf Schwangerschaften. Dann ist ihr Körper erschöpft, ihre Produktion lässt nach, obwohl die Kuh eigentlich noch jung ist. Sie brauchte nach all den Schwangerschaften lediglich eine Pause. Pausen sind aber unökonomisch.
Es gibt immer noch die traditionelle Kuhhaltung, den Wechsel zwischen Stall und Weide, wie wir ihn zu kennen glauben. Aber die Fabrikproduktion dominiert. Anders wäre die weltweite Nachfrage nicht zu befriedigen. Der traditionelle Stall verschwindet, außer auf dem Ferienbauernhof. 1955 gab es in Westdeutschland 1,3 Millionen Betriebe, die ganz oder teilweise von Rindern lebten. Heute sind es in ganz Deutschland um die 100 000. Immer weniger produzieren immer mehr.
Der Computer meldet die nachlassende Milchproduktion einer Kuh sofort an die Fabrikzentrale. Der Computer entscheidet, wer stirbt. Eine Kuh, die nachlässt, wird abgeholt, in einen Lastwagen verladen und in einen möglichst billigen Schlachthof gefahren. Wenn sie Pech hat, wird das ein tagelanger Horrortrip durch Europa, Tage der Hitze und des Durstes. Sie ist vielleicht erst fünf Jahre alt, die normale Lebenserwartung liegt bei 25 bis 30 Jahren. Viel ist ihr Fleisch allerdings nicht wert. Sie taugt nicht für Steaks, höchstens für Hamburger.
Wir kommen an der Weide an. Dort stehen Kühe. Aber sie sehen sonderbar aus. Solche Kühe sieht man sonst nie. Was wir sehen, sind Wracks, klapprige Greisinnen, die nur mühsam laufen können. Sie haben poröse Knochen, weil das Kalzium ihres Körpers jahrelang in die Milchproduktion geflossen ist. Als sie kamen, hatten sie Geschwüre am Euter, das immer noch fast bis zum Boden hängt.
Solche Kühe sind das Ergebnis des Leistungsprinzips. Die Natur kennt Auslese, aber nicht diese Art von individuellem Leistungsprinzip.
Viele Kühe bekommen die Berufskrankheit Mastitis, Euterentzündung. Mit Antibiotika geht das wieder weg. Damit sie in den Schlachtwagen gehen, muss man die Greisinnen manchmal prügeln oder den Flaschenzug nehmen.
Natascha Hirschmann und die Animal Angels betreiben in Mücke, finanziert durch Spendengelder, ein Altersheim für Kühe. Die Kuh, sagt Hirschmann, interessiert mit ihrem Leid den durchschnittlichen deutschen Verbraucher einfach nicht. Vielleicht sei sie nicht süß genug. Das Leiden der Hühner in den Legebatterien hat vor ein paar Jahren große Schlagzeilen gemacht, und es hat sich für die Hühner ja tatsächlich einbisschen was verbessert. Viele bezahlen heute gern ein paar Cent mehr für Freilandeier.
Eine Kuh, eine von zehn Heimbewohnern, steht seit zwei Tagen nicht mehr auf. Wenn nichts hilft, muss sie erschossen werden.
Das Altersheim soll den Leuten vorführen, was aus den Kühen wird, wenn man sie auspresst wie eine Zitrone. Die Tiere waren billig, ein paar hundert Euro, zum Teil sind sie sogar Geschenke. Einige waren nämlich so ruiniert, dass sie nicht mal mehr einen Schlachtwert besaßen. Da hat der Bauer sich den Abdecker gespart und war erfreut. Die Bauern hier in der Gegend sind keine Feinde, erzählt Hirschmann, sie halten mich bloß für verrückt.
Einige Heimbewohnerinnen waren besonders gute Milchkühe. Turbokühe. Wer 100 000 Liter gegeben hat, kriegt im Stall nämlich einen Kranz umgehängt und wird offiziell zur Turbokuh ernannt.
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