Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
oberen Regale der Wandschränke dagegen sind so weit oben angebracht, dass kleine Personen nicht herankommen. Wer in einem Meisterhaus der berühmtesten, einflussreichsten und angeblich besten Baumeisterschule der Welt stressfrei leben will, muss mindestens 1 Meter 70 und darf höchstens 1 Meter 90 groß sein.
Nicht der Mensch, so fehlerhaft, charakterschwach, bequem und verschieden, wie er nun einmal ist, setzt hier das Maß. Sondern die Idee. Die Idee und der Meister.
Mein Schlafzimmer, im ersten Stock, ist auch das Schlafzimmer von Schlemmer gewesen. Es sieht wie ein Krankenhauszimmer aus, vielleicht wegen der kahlen, weißen Wände. Da habe ich es immer noch besser getroffen als der Bauhauslehrer Georg Muche, dessen Schlafzimmer von dem Inneneinrichtungsguru Marcel Breuer schwarz gestrichen wurde. Muche hat nach der ersten Nacht, zutiefst verstört, sein Schlafzimmer nie wieder betreten. Umstreichen war offenbar verboten.
Das Atelier, fast vier Meter hoch, ist der schönste und großzügigste Raum des Hauses. Die Terrassen, ich weiß gar nicht, wie viele es sind, gehören ebenfalls zu seinen Stärken. Die Bauhäusler haben gerne draußen gelebt, genau wie die heutigen Deutschen.
Die beiden Kinderzimmer liegen unterm Dach, sie sindklein, die Decken sind niedrig. Das eine Kinderzimmer hat ein Fenster, das auf eine Dachterrasse führt. Die Brüstung der Dachterrasse ist 70 Zentimeter hoch. Das sieht wieder mal gut aus, für ein Kind muss so etwas allerdings lebensgefährlich sein. Das andere Kinderzimmer dagegen besitzt nur einen Fensterschlitz weit oben, in Erwachsenenhöhe. Also, Schlemmers Kinder konnten entweder nicht aus dem Fenster schauen, oder aber sie sind ständig von der Terrasse heruntergefallen. Das immerhin durften sie sich aussuchen. Zwischen den beiden Kinderzimmern befindet sich wieder eine dieser Türen, aber auf höherem Niveau als der übrige Boden, unter ihr zwanzig Zentimeter Mauer, eine Tür also, die in der Mauer schwebt, wie auf einem surrealistischen Gemälde.
Zu den Eigenarten der Meisterhäuser gehören die beiden Küchen, eine kleine Küche zum Kochen und eine kleine Küche zum Spülen. Nun, ich habe nicht gekocht, weil das Haus von 10 bis 18 Uhr ein Museum und kein Herd vorhanden ist. Das Wohnzimmer hat eine Art Erker, der aber zu klein ist, um damit etwas anzufangen. Das Bauhaus liebt große Fenster, aber ausgerechnet im Wohnzimmer sind die Fenster relativ klein. Aus einem Wohnzimmer möchte der Mensch doch hinausschauen, wo denn sonst, aus dem Badezimmer vielleicht?
Ich würde da niemals hineinziehen. Ich will beim Wohnen aus dem Fenster kucken, ich will nicht nackt vor allen Dessauern duschen, da müsste ich vorher erst mal ein halbes Jahr täglich ins Fitness-Studio.
Dem Geheimnis des Hauses kommt man näher, wenn man es von außen betrachtet. Vor allem die Fenster sehen super aus, die Fenster geben den Fassaden Rhythmus. Das Haus ist ganzauf Außenwirkung hin komponiert, die Fenster sitzen folglich nicht dort, wo Fenster praktisch oder sinnvoll wären, sondern dort, wo Fenster gut aussehen. Primat des Äußerlichen. Image ist alles. Die Heizkosten des Hauses waren übrigens fast ebenso hoch wie die Mietkosten, Schlemmer hat 2 500 Mark pro Monat bezahlt, warm, etwa die Hälfte seines für damalige Verhältnisse üppigen Gehaltes.
Dessau lag damals, in den 20er Jahren, im deutschen Silicon Valley. Überall Fortschritt, aufstrebende Zukunftsindustrie, die Junkers-Flugzeugwerke zum Beispiel. Diese Stadt war zur Größe bestimmt. Heute hat Dessau als international bekannten Markenartikel nur noch das Bauhaus, und auch um diese Marke muss es kämpfen, nicht nur gegen Weimar. Aldi Süd hat einen Bauhauswein im Angebot, in Thüringen, sagen Bauhausmitarbeiter, werden quadratische Klöße unter der Bezeichnung »Bauhauskloß« angeboten. Wenn einer der Mitarbeiter sagt, dass er am Bauhaus arbeitet, denken die meisten Dessauer, dass er für den gleichnamigen Baumarkt Bretter zuschneidet, klar, auch in Dessau gibt es ein »Bauhaus«.
Aber die Mitarbeiter pendeln sowieso fast alle, hier lebt es sich für Großstädter nicht gut, keine Kneipen, keine Biergärten, kein Spaß. Abends kann man höchstens vor dem Bauhausklub sitzen, der ist okay. Die Mitarbeiter erzählen, dass es im Bauhaus wegen der Glasfassaden im Winter sibirisch kalt ist, im Sommer dagegen tropisch heiß. Die Glasfassade ist ein ähnlicher politischer Irrweg wie der demokratische Zentralismus. Aber auch
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