Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
dieses Gebäude sieht, von außen, gut aus.
Im Bauhaus gibt es eine Ausstellung, dort zeigen sie historische Filme aus den 20ern. Einer der Filme stellt richtiges und falsches Wohnen vor, richtig ist das Bauhaus, falsch sind Wohnküchen,verwinkelte Gassen, Blumentöpfe, die vor dem Haus auf der Straße stehen. Unordnung und Unübersichtlichkeit sind schlecht, Leere und rechte Winkel sind gut.
Obwohl der Film alle Register des Propagandagenres zieht, bekommt man doch mit, dass die von ihm angeprangerte Form des Wohnens ungefähr dem entspricht, was sich heute begüterte Menschen in ihren Wochenendhäusern auf Sardinien leisten, während das richtige Wohnen ein fragwürdiges Privileg der gesellschaftlichen Verlierer darstellt, in Berlin-Gropiusstadt oder in Marzahn. Unordnung und Unübersichtlichkeit muss man sich leisten können.
Heute ist Dessau, wo das formbewusste Bauen erfunden wurde, eine erstaunlich formlose Stadt. Dessau war Residenz, mit Schloss und allem, was dazugehört. Von den alliierten Bombern und von der DDR ist das historische Erbe gleich zweimal unter den Pflug genommen worden. Geblieben sind weite Flächen, aus denen hin und wieder eine alte Fabrik oder ein verlassener Plattenbau ragt. In Dessau könnte man, wenn es nur genug Publikum gäbe, locker zwanzig Kulturfabriken eröffnen.
Aber die Stadt schrumpft. Statt die Außenbezirke abzureißen und sich in ihren Kern zurückzuziehen, geht Dessau, weil es keinen wirklichen Kern mehr hat, einen anderen Weg. Die Natur darf sich Teile der Stadt zurückerobern, große Schneisen zwischen den Ruinen, wo städtische Urwälder entstehen, für Parks fehlt das Geld. Jeder Dessauer, der eine Idee hat, bekommt von der Stadt kostenlos 400 Quadratmeter zur Nutzung, Innenstadtlage, es gibt Steingärten, Apothekengärten, nichts wirklich Zukunftsweisendes. In den USA würde man vielleicht Siedler aus aller Welt rufen, Land nicht verpachten, sondern verschenken, der große Treck nach Dessau, hey,kommt alle, baut auf, wir wollen Zukunft. Aber dies ist eben Sachsen-Anhalt.
Ich habe einen Termin beim neuen Direktor des Bauhauses, Philipp Oswalt, Mitte 40, Pendler. Das wichtigste und bedeutendste Meisterhaus, das Haus von Walter Gropius, ist durch Bomben zerstört worden. Nun lautet die Frage: Wird es wieder aufgebaut?
Oswalt sagt, das geht sowieso nicht. So etwas wird heutzutage nicht mehr genehmigt. Diese niedrige Brüstung, die engen Türen, alles viel zu gefährlich und nicht behindertengerecht. Der neue Mensch ist offenbar doch nicht entstanden, der mit extrem engen Türen zurechtkäme. Der Direktor des Bauhauses wohnt in Berlin-Schöneberg in einer Altbauwohnung mit Stuck und Flügeltüren. Er sagt, das sei Zufall. Zufällig war ich auch mal bei seinem Vorgänger zu Gast, Omar Akbar. Auch er hat in einem Berliner Altbau gewohnt, Jahrhundertwende. Es ist, genau wie beim Realen Sozialismus, deutlich leichter, in der Theorie für das Bauhaus zu sein, als ganz konkret in einem Bauhausgebäude zu leben.
Abends laufe ich durch das Schlemmerhaus, stelle mich mit einem Glas Wein auf eine der Terrassen, wo damals wilde Feste gefeiert wurden, da stehe ich, während der Wind vom Flachdach Moosbröckchen hinunterweht und unten Rehe grasen, ohne Angst. Was hatten die Bauhäusler eigentlich gegen Spitzdächer? Warum, zum Teufel, muss es immer ein Flachdach sein? Dachräume sind doch schön und praktisch, das Wasser kann an einem Spitzdach richtig toll runterlaufen.
Am nächsten Tag werden sie fragen: »Haben Sie den Geist des Hauses gespürt? Wie ist das?«
Ich werde sagen, es ist wie in dem Film »Nacht im Museum«. Klar, es ist ein Museum, tagsüber hört man die Stimmender Besucher, nachts hört man im Traum die Schreie von Schlemmers Kindern, wie sie von den Terrassen stürzen.
Das Haus ist extrem hellhörig. Mitarbeiter des Museums haben mir ein paar Ikeamöbel reingestellt, Ikea, der legitime Erbe des Bauhauses, billiges, gutes Design für alle, das passt schon. Aber es ist ungemütlich, es ist ein ungemütliches Angeberhaus.
Das Überflüssige ist das Schöne. Spät in der Nacht, da war noch ein Fest in der ehemaligen Dessauer Kaufhalle, ich gehe nach Hause, Ebertallee, und ich finde das Schlemmerhaus nicht, weil alle Meisterhäuser, in denen große, sehr individualistische Künstler lebten, vollkommen gleich aussehen. Sie sind ja auch fast alle recht schnell wieder ausgezogen, nicht wegen der Nazis, sondern einfach so.
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