Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Advent klingelte der Briefträger an der Tür. Er brachte mir einen Adventskalender, mit freundlichen Grüßen. Absender war eine vorweihnachtlich gestimmte Kollegin. Es gibt also, wie ich sogleich feststellen durfte, das Buch »Der kleine Prinz« jetzt auch in Adventskalenderform. Das ist zweifellos eine schlaue Geschäftsidee für die Buchbranche, zumal man so was nicht mit allzu vielen literarischen Werken machen kann.
Der Adventskalender bestand aus einer Pappscheibe in der Farbe des Nachthimmels, auf der natürlich der kleine Prinz zu sehen war. Er steht auf seinem Planeten und schaut die reichlich vorhandenen Sterne an. Er trägt Schlaghosen und Fliege. Das Bild haben viele Menschen im Kopf.
Der Kalender hat keine Türchen, stattdessen hat er Schlitze, in denen Zettel stecken. Auf jedem Zettel steht ein Spruch aus dem Buch. Man soll also in der Adventszeit täglich einen der Zettel herausziehen und darf sich dann Gedanken machen, anstatt, wie bei den meisten anderen Adventskalendern, täglich eine Süßigkeit zu essen. Ich habe alle Zettel gleich hintereinander herausgezogen und sie alle auf einen Rutsch gelesen. Ich dachte, statt 24 kleiner Gedanken mache ich mir einen einzigen großen.
Es war vielleicht eine Überdosis. Jedenfalls habe ich danach dann auch noch das Buch »Der kleine Prinz« gelesen, was nureine Stunde dauert, wieder einmal, denn es gehört zu den Büchern, die mein Leben geprägt haben, und bestimmt nicht nur meines. Sonst würde ich das hier nicht erzählen, sonst wäre das gesellschaftlich irrelevant.
Ich wollte mich erinnern. Aber danach fühlte ich mich nicht gut. Mit den Worten des Autors, Antoine de Saint-Exupéry: »Etwas an meinem Motor war kaputtgegangen.«
Bevor ich selber Vater wurde, habe ich das Buch nur vom Hörensagen gekannt, warum? Weil es zu meiner Kinderzeit, späte 50er, frühe 60er, noch nicht so berühmt gewesen ist. Man las eher »Der letzte Mohikaner« oder »Winnetou«. An der Uni merkte ich, dass es im Grunde ein Erwachsenenbuch ist, jeder las das, überall stand es herum, und dabei ist es wohl bis heute geblieben. Als mein Sohn sechs Jahre alt war, habe ich ihm dann, wie fast jeder, der ein Kind hat, »Der kleine Prinz« vorgelesen. Später kaufte ich, wie fast jeder, für das Kind ein Hörbuch, damals noch als Kassette. Das ist lange her. Heute ist mein Sohn erwachsen, und ich feiere dieses Jahr zum ersten Mal ohne ihn Weihnachten.
»Der kleine Prinz« ist eine schöne Geschichte. Sehr, sehr schön. Ich will sie gar nicht pauschal heruntermachen, obwohl mir das niemand glauben wird. Der kleine Prinz würde es wohl so ausdrücken: »Jede schöne Geschichte ist einzig auf der Welt. Sie erinnert an eine Blume, die man nicht sieht ...« Diese Ansicht teile ich. Aber alle werden sagen: »Jetzt macht er auch noch den kleinen Prinzen runter.« Obwohl ich das Gegenteil beteuere!
Die großen Leute sind so. Auch dieser Satz stammt aus dem »Kleinen Prinzen«.
Auf der Liste der meistgedruckten Bücher der Weltgeschichte steht der »Kleine Prinz« auf Platz 17, Gesamtauflage80 Millionen. Um diese Zahl einordnen zu können, sollte man berücksichtigen, dass auf den vorderen Plätzen unter anderem die Bibel, der Koran, das Kommunistische Manifest und das Chinesische Wörterbuch stehen. »Der Herr der Ringe« liegt mit 150 Millionen ebenfalls vor dem Prinzen.
Bücher, die sich in dieser Liga befinden, erzählen nicht einfach eine Geschichte. Sie entwerfen ein Weltbild, sie erschaffen einen geistigen Kosmos, abgesehen vielleicht vom Chinesischen Wörterbuch. Oder sie bieten ein Identifikationsangebot, das sich gleich für mehrere Generationen eignet. Nach dem »Prinzen«, also auf Platz 18, folgt nämlich »Der Fänger im Roggen«. Und danach kommt auch schon der erste Titel von Paolo Coelho.
Ich will den »Kleinen Prinzen« nicht runtermachen, unter anderem, weil er phantasievoller ist als das, was ich von Coelho kenne, und weil er das Gemüt auf eine geschickte oder – warum nicht mal die Harfe auspacken – meisterhafte Weise anspricht. Man muss die Menschen gut kennen, um sie so am Wickel zu haben, man muss die Tasten auf ihrem Seelenklavier im Schlaf treffen.
»Der kleine Prinz« plädiert für das Gute, für Menschlichkeit, die Liebe, all diese Sachen. Aber je öfter ich es gehört habe – und ich habe es bei Autofahrten mit meinem Kind verdammt oft gehört –, desto stärker wurden schon damals meine Zweifel daran. Es hat einen philosophischen
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