Romanzo criminale
dass jedoch jeder die Entscheidung für sich selbst treffen musste. Das erfuhr Libanese von Trentadenari, der ahnte, dass zwischen den beiden dicke Luft herrschte:
– Er ist wirklich ein Freund!
Ja, sie waren wirklich Freunde und sie würden auch immer Freunde bleiben. Sie sprachen nicht miteinander, obwohl sie es gerne getan hätten. Keiner konnte sich entschließen, den ersten Schritt zu tun. Ganz zu schweigen davon, noch einmal über die Sache zu reden. Aber nach all dem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, litten beide darunter, getrennte Wege zu gehen.
Freddo hatte eine Aussprache mit Gigio gehabt. Sein Bruder hatte in seinen Armen zu weinen begonnen, dann war er davongelaufen und schließlich hatte er ihn mit seinem Opferblick angesehen. Freddo ertrug die Verzweiflung in seinem Blick kaum. Er kam sich vor wie ein Ungeheuer, nicht mehr und nicht weniger. Er war zu Roberta gegangen und hatte ihr gesagt, sie dürften sich nicht mehr treffen. Danach landeten sie im Bett. Es war nichts zu machen: Das Schicksal hatte es so gewollt.
Libanese hingegen versuchte bei den Geschäften einen klaren Kopf zu behalten, verhielt sich jedoch dem Rest der Welt gegenüber wie ein Arschloch. Die Spione hatten ihm eine Kubanerin ins Bett gelegt, die aus ihrer Heimat geflüchtet war, und damit das Problem seiner Keuschheit gelöst. Er schloss sie jedoch nicht ins Herz und wusste wenig mit ihr anzufangen: eine schnelle Nummer und wieder weg. Vor allem keine Vertraulichkeiten: Es war nämlich klar, dass die Nutte eine Informantin war. Deshalb: Hose runter, Mund zu. Außerdem hatte ihn der Spielteufel gepackt, er verspielte jeden Abend eine beträchtliche Summe. Es sah so aus, als ob vor allem die Karten wussten, dass ihm ein Freund wie Freddo fehlte.
Ende Juli verlor er im
Re di picche
, wo alles begonnen hatte – an dem Abend, als sie die Entführung von Baron Rosellini planten. Ein Königsdrilling und fünfunddreißig Millionen gehörten Nicolino Gemito. Aber da ihm das höhnische Grinsen nicht gefiel, mit dem der andere sein Full House auf den Tisch legte, sagte er, dass er nicht zahlen würde.
– Schon gut, Libano, heute Abend ist alles schiefgelaufen ... da sagt man sowas schon mal ...
– Nein, ich zahle wirklich nicht. Weder heute noch ein anderes Mal!
Immerhin war er Libanese, die Nummer eins. Von einem Wichser wie Nicolino Gemito ließ er sich nicht sagen, was er zu tun und zu lassen hatte. Immerhin verdankten es die Gemito-Brüder einzig und allein ihm, dass sie noch am Leben und im Spiel waren. Ihm und seiner Großzügigkeit. Sie sollten ihn also nicht ärgern, sonst war es mit der Großzügigkeit bald vorbei. Und wehe, wenn man in Rom etwas hörte über diesen unglückseligen Abend, dann würde er das Lokal dem Erdboden gleichmachen, er würde einen Brand legen, wie man ihn nicht einmal zu Zeiten Neros gesehen hatte. Denn er war Libanese. Er kannte alle. Ein Wort von ihm öffnete alle Türen, ein Wink von ihm genügte und die Gemito-Brüder landeten samt ihren Nutten und Bälgern direkt im Leichenschauhaus.
Hätte er das Glück gehabt, an diesem Abend nach seinem Wutausbruch Freddo zu treffen, hätte er vielleicht innegehalten und nachgedacht. Er hätte sich gütlich mit den Gemito-Brüdern geeinigt, hätte vielleicht sogar seine Spielschulden bezahlt: Denn wenn man sich auf etwas verlassen konnte in Rom, dann auf das Wort von Libanese. Aber er hatte so lange die Fäden in der Hand gehalten, einen klaren Kopf behalten, geplant und strategisch gedacht, dass ihm nun der Überblick abhandengekommen war. Und niemand, wirklich niemand war bei ihm, der ihm geholfen hätte, dem Schlamassel zu entkommen, das er angerichtet hatte! Wer hätte es gewagt, Libanese zu widersprechen? Dennoch hätte jemand zu ihm sagen müssen: Stopp!
Wenn er an diesem Abend Freddo getroffen hätte ...
Doch Freddo saß seit einer Woche im Regina Coeli. Er war mit Nero unterwegs gewesen, als sie wegen einer banalen Geschwindigkeitsübertretung auf der Circonvallazione Clodia die Aufmerksamkeit einer Streife auf sich gezogen hatten. Bei der Ausweiskontrolle waren ihre Vorstrafen an den Tag gekommen, und der Golf war durchsucht worden. In einem Köfferchen befand sich schmutziges Geld, das Secco waschen sollte. Richter Borgia stürzte sich noch am selben Abend auf sie, um sie zu verhören. Freddo und Nero gestanden, im Besitz von markierten Geldscheinen zu sein. Sie sagten, sie hätten sie von einem Spanier bekommen und seien auf der Suche
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