Romeo für immer, Band 02
lasse mich auf den Teppich zurücksinken, und er beugt sich über mich. Zärtlich nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich mit der gleichen Angst, Liebe und Verzweiflung, die auch ich empfinde. Mein Herz schäumt über, und jede einzelne Zelle meines Körpers dehnt sich aus bis an Stellen, von denen ich bisher nicht einmal ahnte, dass es sie gibt. Ich schöpfe Hoffnung. Durch die Hoffnung vergrößert sich der Riss in meinem Schutzpanzer und wird zu einer Tür in eine andere Welt.
»Ich finde es heraus, ich finde eine Lösung«, flüstere ich. »Ich lasse dich nicht mehr weg.«
»Eines musst du mir versprechen«, sagt er. Seine Finger streicheln sanft über meine Wange. Schon diese kleine Berührung reicht aus, mein Herz rasen zu lassen. »Versprich mir, dass du niemals vergisst, wie sich das anfühlt.«
»Ich verspreche es.« Wie könnte ich das vergessen? Sollte er morgen Nacht wirklich nicht mehr hier sein, werde ich mein Leben lang in Gedanken jeden einzelnen unserer gemeinsamen Augenblicke wiederholen. Er ist der Mensch, der zu mir gehört und perfekt zu mir passt.
»Und ich möchte … Falls wir nicht zusammenbleiben können, möchte ich, dass du einen anderen findest. Jemanden, der dich so sehr liebt, wie ich wünsche, dich lieben zu können.«
Liebe. Er hat es ausgesprochen. Zumindest hat er gesagt, dass er sich wünscht, er könne mich lieben. Ist das nicht im Grunde das Gleiche? Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich: »Ich will keinen anderen.« Obwohl ich versuche, sie zurückzuhalten, kommen mir die Tränen. »Mich will doch sowieso keiner. Ich bin ein Nichts.«
»Du bist kein Nichts«, widerspricht er. »Nicht für mich.«
Und dann küsst er mich noch einmal, und ich erwidere seinen Kuss. Ich kann nicht aufhören. Auch nicht, als es zum Ende der ersten Stunde läutet und es auf dem Korridor laut wird. Türknallen, Gelächter und lautes Geplauder hallen über den Flur. Doch der Lärm ist unwirklich und weit weg, als käme er aus einer anderen Welt. Ich befinde mich in meiner eigenen Realität, einer Welt, in der ich mutig bin und keine Angst habe zu kämpfen, damit ich bekomme, was ich will.
Romeo
M ein Auftrag ist so gut wie erledigt! Ich sollte mich freuen.
Ariel wird mich lieben. Ihre leidenschaftlichen Küsse und zärtlichen Umarmungen beweisen es. Ich habe ihr Herz fast erobert und werde Dylans Körper sicher bald verlassen. Wenn dann seine Seele wieder in seinen Körper zurückkehrt, wird Ariel nicht überrascht oder verletzt sein, sondern ist gewappnet und kann an unsere gemeinsame Zeit zurückdenken. Durch meine noble, selbstlose Bitte, sie möge sich in einen anderen verlieben, wenn ich nicht mehr hier bin, habe ich ihr außerdem Hoffnung auf eine Zukunft voller Liebe gemacht.
Trotz des merkwürdigen Fehlens von Romeo und Julia in dieser Welt kann ich mir gratulieren und mir zufrieden auf die Schulter klopfen. Die nagenden Sorgen, die mich fast zerfressen hätten, haben sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Ich werde zu den Botschaftern gehören und nie wieder in meinen verrottenden Körper zurückkehren müssen. Die Welt ist gerettet, zumindest vorerst. Botschafter und Söldner werden sich weiterhin bekämpfen und versuchen, die Herrschaft über die Welt und ihre unterschiedlichen Realitäten an sich zu reißen. Es ist genau das, was ich mir erhofft habe. Wen stört es, dass ich die Wahrheit etwas beschönigen musste, um Ariel auf die Seite des Lichts zu ziehen? Es ist besser, wenn sie nie von ihrer Tendenz zum Bösen erfährt.
Warum also erfüllen mich ihre Berührungen mit Schmerz? Wieso schmecken ihre Lippen plötzlich so bittersüß?
Weil sie so gut wie tot ist, das weißt du genau, du feiger, treuloser Verräter.
Es ist wahr. Aber ich habe vorher gewusst, dass ich mit der Erfüllung meiner Aufgabe Ariels Leben gefährden würde. Anfangs reichte mir das Versprechen der Botschafterin, sie würde sich schon um Ariel »kümmern«, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aber jetzt nicht mehr. Bei Weitem nicht.
Man muss sich doch nur ansehen, wie diese Botschafterin sich um Julia »gekümmert« hat. Sie hat ihr jahrhundertelang die Wahrheit verschwiegen, und dann hat sie Julia im Stich gelassen und hingenommen, dass sie von den Söldnern getötet wurde. Wie kann ich Ariel einfach ihrem Schicksal überlassen? Wie kann ich mein Handeln rechtfertigen, selbst wenn es einem guten Zweck dient?
Ich weiß es nicht. Ich liege in ihren Armen, spüre ihren Körper an meinem,
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