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Romeo für immer, Band 02

Romeo für immer, Band 02

Titel: Romeo für immer, Band 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jay
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heranzuführen. Sie so zornig zu sehen ist das Letzte, was ich will. Die Stimmen in ihr müssen verlorene Seelen sein, davon bin ich überzeugt. Wenn das stimmt, darf sie auf keinen Fall deren Aufmerksamkeit erregen. Ich glaube zwar nicht, dass die verlorenen Seelen ihr Wissen an die Söldner weitergeben – immerhin sind sie Ausgestoßene, auf ewig bestraft und verdammt, deshalb sind sie schließlich verlorene Seelen. Dennoch sollte Ariel lieber kein Risiko eingehen.
    »In Ordnung, ich hole das Geld.« Ich halte resigniert die Hände hoch und sehe Mr Stroud in die Augen. Hoffentlich dreht er sich nicht um. Ich weiß nicht, wie er auf Ariels Anblick reagiert. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass Mr Stroud niemals das Kind von jemand anderem schlagen würde – erst recht kein Mädchen. Ich glaube, seine Faustschläge sind exklusiv für seinen Sohn reserviert. Aber ich möchte es nicht darauf ankommen lassen. Allein der Gedanke an eine blutig geschlagene Ariel löst in mir den Drang aus, diesen Mann anzuspringen und ihm die Zähne ins Gesicht zu schlagen. »Ich hole den Rucksack mit meinem Geld aus dem Haus.«
    »Das ist mein Haus und mein Geld!«, brüllt er, während Ariel sich näher heranschleicht. Ich schüttle unmerklich den Kopf und versuche, sie durch die Kraft meiner Gedanken dazu zu bringen, sich wieder ins Auto zu setzen. Doch sie packt das Radkreuz nur noch fester.
    »Ich füttere dich die ganze Zeit durch, während du nur faul auf deinem knochigen Hintern herumsitzt.«
    »Ich bekomme doch Geld für meine Auftritte mit der Band«, sage ich in der Hoffnung, ihn damit zu beruhigen. »Ich zahle es dir zurück, wenn … «
    »Ich will, dass du deinen Arsch hochkriegst und dir endlich anständige Arbeit suchst«, bellt er. Mit jedem Wort verstärkt sich die Röte in seinem Gesicht. »Als ich so alt war wie du, musste ich längst meine Eltern unterstützen!« Er ist inzwischen knallrot, und seine Faust zittert. »Du kannst umsonst hier wohnen. Und wie dankst du es mir? Du bestiehlst mich!«
    Und dann passiert alles gleichzeitig: Er holt zum Schlag aus, meine Arme fliegen hoch, um seinen Schlag abzuwehren. Ariel lässt das Drehkreuz fallen, es landet mit lautem Geschepper auf dem Boden. Mr Stroud wirbelt herum, gerade rechtzeitig, um torkelnd mit anzusehen, wie Ariel die Augen verdreht und in die Knie geht.
    »Was zum Teufel …?«, brüllt er.
    Blitzschnell stoße ich ihn beiseite und kann Ariel gerade noch auffangen, bevor ihr Kopf mit voller Wucht auf dem Asphalt aufschlägt. Ich greife ihr unter die Achseln und ziehe ihren Oberkörper auf meinen Schoß. In dem Moment spüre ich die Kälte.
    Die Kälte ist unter ihrer Haut und kriecht jetzt auch in meinen Körper. Es ist eine solche Eiseskälte, dass ich befürchte, in tausend kleine Eissplitter zu zerspringen. Es ist die Kälte von Nord- und Südpol zusammen, eisblau und uralt, so alt, als sei das Eis niemals flüssig gewesen. Liebe, Hoffnung und Glück treiben auf Eisschollen aus fürchterlichem und ewigem Grauen in die unendliche Kälte hinaus.
    Undeutlich und fern höre ich Dylans Vater fragen: »Was hat sie?« Und dann flucht er. Ariel zittert und windet sich in schrecklichen Zuckungen. Ich antworte nicht.
    Ich habe Dylans Körper verlassen und verliere mich ebenfalls in der Kälte. Angesichts Ariels Leiden bin ich so entsetzt, dass ich Mr Stroud nur hilflos ins erschrockene Gesicht starre, als er sich neben mich kniet und mir ein Stück Holz in die Hand drückt. »Wenn die Zuckungen nicht aufhören, schieb ihr das Holzstück zwischen die Zähne. Ich rufe den Notarzt.«
    Er steht auf, dreht sich um und torkelt zur Haustür. Ich will ihn aufhalten, ihm sagen, dass der Notarzt ihr nicht helfen kann, doch als ich meinen Mund öffne, entweicht mir ein gellender Schrei. Es ist ein langer, hoffnungsloser Schrei der Einsamkeit, so verzweifelt wie die heulenden Stimmen in Ariels Körper. Ich reihe mich in den Chor der verlorenen Seelen ein. Denn ich gehöre zu ihnen. Weder Magie noch mein jetziger Körper ändern etwas daran. Tief in mir, dort wo der echte Romeo sich in einer dunklen Ecke verkrochen hat, bin ich immer noch die Kreatur der dunklen Macht. Diesem Schicksal werde ich niemals entkommen. Irgendwann werde auch ich als schreiende Stimme enden, verloren und einsam. Nur manchmal, wenn es mir gelingt, in jemanden hineinzukriechen, in einen Menschen wie Ariel, werde ich für kurze, kostbare Minuten meine Qualen und mein Elend hinausschreien können, um mir

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