Romeo für immer, Band 02
Gehör zu verschaffen.
17
Ariel
N ein! Nicht! Verschwindet! Haut ab!
Meine Augen sind fest geschlossen, und mein Körper windet sich in Zuckungen, während ich gegen die Ungeheuer ankämpfe, die ihre schartigen Zähne in mein Innerstes schlagen und mich zerreißen wollen. Die schrillen Stimmen und gellenden Schreie in meinem Kopf gehören nicht zu mir. Das weiß ich jetzt. Diesmal habe ich genau hingesehen. Die Luft bildete kleine Wellen, und knotige Finger grapschten nach mir, dann traf mich die grimmige Kälte, so heftig und grauenhaft wie immer.
Nein, schlimmer als sonst.
Romeo ist da draußen. Er ist in Gefahr. Ich habe versucht, meinen Zorn im Zaum zu halten, ich wollte ihn unterdrücken. Aber als Dylans Vater mit der Faust ausholte, brach es aus mir heraus. In diesem Augenblick stand Dylans Vater stellvertretend für alle Tyrannen der Welt vor mir, und ich wollte ihn bestrafen. Ich habe mir vorgestellt, wie seine Knochen knirschen, wenn ich ihm das Radkreuz über den Schädel ziehe, und wie sein Blut über die Einfahrt fließt. Etwas in mir schrie vor Genugtuung bei diesem Gedanken. Da wusste ich, was passieren würde.
Und jetzt beherrscht der Schmerz meinen Körper, in meinem Kopf gellen die Schreie. Ich erleide unvorstellbare Qualen … doch ich wehre mich dagegen. Diesmal bleibe ich bei Bewusstsein, auch wenn ich sonst schon längst in die Dunkelheit hinabgestürzt wäre. Etwas ist anders. Ich höre einen Laut, keinen Schrei, sondern …
Ich bin hier. Ich bin hier. Ich bin hier.
Ein sanfter Singsang, sehr leise. Nachdem ich ihn einmal wahrgenommen habe, ist er nicht mehr zu überhören. Ich konzentriere mich auf die Wahrheit, die in dieser Stimme liegt. Sie wiederholt die Worte. Wieder und wieder, wie ein Mantra, das die Welt zusammenhält. Das ist Romeo, ich weiß es. Er ist bei mir, er ist für mich da. So wie ich für ihn. Er kennt das Gefühl der Verlorenheit wahrscheinlich besser als ich. Denn er ist so verloren, dass er glaubt, ganz allein zu sein. So verloren und allein, dass er niemals gefunden wird.
Doch da irrt er sich. Ich finde ihn. Ganz bestimmt.
Ich vergebe dir.
Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, dass er das jetzt hören muss. Ich fühle es einfach. In dem Moment, als er meine Worte hört, erzittert seine Seele. Dann ist sie verschwunden und mit ihr die Schreie. Eine sanfte Brise weht durch mich hindurch und trägt die Kälte fort.
Ich öffne die Augen und schaue in das Dämmerlicht des Abendhimmels. Romeo hält mich fest, ich liege in seinem Schoß, und er beugt sich über mich. »Du kannst mir nicht vergeben.«
»Du … « Ich fahre mit der Zunge über meine trockenen Lippen. »Du hast mich gehört?«
Er nickt und sieht mir in die Augen. »Aber du kannst mir nicht vergeben.«
Mit zitternden Fingern streiche ich ihm das Haar aus der Stirn. »Doch.« Meine Stimme ist rau, aber ich kann sprechen, und ich kann mich bewegen. Zum ersten Mal habe ich einen Schub durchgestanden, ohne die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren. Das habe ich nur ihm zu verdanken. Irgendwie hat er es geschafft, das Schlimmste von mir fernzuhalten. Das ist für mich Beweis genug, dass er Magie in sich trägt.
»Nein. Du weißt längst nicht alles«, flüstert er. »Sonst könntest du mir niemals vergeben.« Er beugt sich tiefer zu mir herab. Plötzlich offenbart sich mir seine Ähnlichkeit mit dem Jungen auf meinem Bild.
Das Bild mit dem Jungen auf dem Hügel habe ich schon vor Jahren gemalt. Lange bevor ich Romeo traf. Er ist der Junge aus meinen Träumen, der Junge, an dessen Porträt ich gearbeitet habe, als ich eigentlich hätte schlafen sollen. Aber ich fürchte mich vor dem Einschlafen. Ich träume manchmal von dem Jungen, aber häufiger träume ich von dem Mann in der Kutte, der mir immer wieder Vergebung und Frieden verspricht.
Er ist grauenhaft, doch in meinen Träumen bin ich auf seine Vergebung angewiesen. Ich habe etwas so Schreckliches getan, dass ich mir Vergebung für meine Taten nicht vorstellen kann. Niemand kann mir vergeben, genauso wenig, wie ich mir selbst vergeben kann. Es ist zwar nur ein Traum, aber durch diesen Traum kenne ich das Gefühl, unrettbar verloren zu sein und niemals Erlösung finden zu können.
Ich lege meine Hände in Romeos Nacken und richte mich auf. »Was du getan hast, kannst du nicht mehr ändern. Aber du kannst jederzeit versuchen, dich zu bessern. Und ich weiß, dass du das längst getan hast. Ich vergebe dir.«
Er sagt kein Wort. Stattdessen
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