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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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noch geblieben, weil er sehen wollte, ob die Burg eventuell zu retten war. Es war eine verzweifelte Hoffnung, das wusste er, und Tag um Tag schwand sie weiter, während der Baumeister und seine Männer durch das verbliebene Gebäude schwärmten, wie Käfer, die einen Leichnam bis auf die Knochen abnagten. In einer Mauer nach der anderen und in jeder Decke fanden sie irreparable Schäden. Sie nagten weiter, bis nur noch das gegenwärtige Gerippe übrig war.
    «Was bedeutet das?», fragte Hayato mit einem Seufzer. Sein letzter Hoffnungsschimmer erlosch.
    «Wenn Ihr wünscht, dass wir die Arbeit fortsetzen, Hoheit», antwortete der Baumeister und sog die Luft zwischen den Zähnen hindurch, da er Vorhersagen treffen musste, deren Einhaltbarkeit ihm nicht sicher erschien, «könnten wir bis zum ersten Frost des nächsten Winters ein provisorisches Dach errichten. Dieses Jahr ist es schon zu spät, um irgendetwas zu unternehmen. Das nötige Holz muss erst zugerichtet werden und trocknen. Doch selbst dann wäre die Burg kein schöner Anblick. Sie wäre bestenfalls bewohnbar. Aber sie wieder zu dem zu machen, was sie einmal war …»
    «Ich meinte: Was bedeutet das für mich?»
    Der Baumeister zögerte. Es war eine tückische Frage, und Hayatos Missfallen war mit Händen zu greifen. Nervös nestelte er am Stiel des Hammers, der an seiner Hüfte hing, doch glücklicherweise blieb ihm die Antwort erspart, da Hayatos Leibwächter zu ihnen trat.
    «Dürfte ich Euch kurz sprechen, Hoheit?», fragte der Samurai und verneigte sich. Der junge Fürst nickte. «Unser höchst ehrenwerter Fürst Nakata hat befohlen, dass wir Euch, solltet Ihr die Lage hier für aussichtslos erachten, zu ihm bringen. Habt Ihr Euch ein Urteil gebildet?»
    «Hast du nicht zugehört?», schnauzte Hayato. «Was soll ich denn hier noch?»
    «Dann kehren wir also zur Festung Eures Vaters zurück, Hoheit», sagte der Mann. Er verneigte sich erneut und wies die anderen Samurai mit einem Wink an, sich reisefertig zu machen.
    Während die Sänfte bereitgestellt wurde, stolzierte Hayato von dannen. Er wollte nicht, dass die Männer sahen, wie wütend er war; sie alle waren Gefolgsleute seines Vaters, und was sie sahen, erfuhr auch der alte Fürst. Hayato trat einen Stein aus dem Weg und hörte zu, wie er fortsprang und in einen aufgebrochenen Keller fiel. Dort hallte der Laut noch nach und erstarb schließlich – wie alles andere hier.
    Das hier hatte seine Freistatt werden sollen, hier hatte er das Joch seines Vaters abwerfen wollen: eine Burg und eine Grenze, ihm anvertraut. Was blieb ihm jetzt – außer einem Monument aus Asche und der herablassenden Zuneigung eines sabbernden alten Narren?
    Er fühlte sich machtlos, fast so, als wäre er kastriert worden. Der junge Fürst spie aus, schritt mit finsterem Blick zu der Sänfte, wobei er den Männern, die dort auf Knien darauf warteten, ihn fortzutragen, nur flüchtig zunickte. Sein Leibwächter hielt ihm lächelnd den burgunderroten Vorhang auf.
    «Sehr gut, Hoheit», bemerkte er beinahe säuselnd. «Kehren wir zurück in die Behaglichkeit der Stadt.»
    Hayato blieb stehen und sah den Mann an. Sein Lächeln wirkte aufrichtig. Die Sänftenträger verharrten reglos. Da ihnen Blickkontakt untersagt war, waren ihre Augen zu Boden gerichtet, und in dieser Situation schienen sie froh darüber zu sein.
    Sie wirkten angespannt, aber nicht aus Furcht.
    Der junge Fürst betrachtete sie einige Sekunden lang, ohne recht zu wissen, wonach er suchte. Dann ließ er sich wortlos in der Sänfte nieder. Es folgte ein Laut, der möglicherweise nur vom Vorziehen des Vorhangs und der Bambusblende stammte, doch während man ihn zu seinem Vater zurücktrug, kam Hayato mehr und mehr zu der Auffassung, dass es ein Kichern gewesen war.
    * * *
    Auch Bennosuke blickte auf Ruinen.
    Er schaute hinab in das landeinwärts gelegene Tal des Dorfs – das verlassene Tal. Unten sah man inmitten des grünen Wildwuchses der vergangenen acht Jahre verkohlte Balkenstümpfe und Fundamente. Man erkannte den ungefähren Grundriss dessen, was einmal ein Teil des Dorfs gewesen war. Es war ein nur allzu vertrauter Anblick für den Jungen.
    Dort war seine Mutter ums Leben gekommen.
    Yoshiko.
    Bennosuke erinnerte sich kaum an sie. Sie war eine beruhigende Stimme in der Nacht, eine warme Hand, die die seine umschloss, doch weiter nichts, kein Gesicht, nichts Konkretes. Er wusste von ihr nicht viel mehr als das, was Dorinbo ihm erzählt hatte: dass sie zwar

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