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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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der Schweiß ihnen nur so herunterlief.
    Der Tempel selbst war ein kleiner Pavillon mit einer Grundfläche von gut zehn mal zehn Schritten. Er war zwar an der höchsten Stelle des Dorfs erbaut, doch die Schnitzereien und Reliefs, an anderen Schreinen kunstvolle Dioramen mit Blattgold und teurem Purpur, waren hier nur schlichte Bildnisse in verblassten Grundfarben. Ganz oben, noch über dem stumpfen Messing-Gong und dem abgenutzten Knotenseil, mit dem er geschlagen wurde, thronte natürlich ein Abbild von Amaterasu in irdischer Gestalt, ihr Gesicht ein schlichtes Oval in abblätterndem Weiß, die dahinter hervordringenden Lichtstrahlen bereits gänzlich ohne Farbe.
    Amaterasu wachte über sie, heiter und gelassen, während Dorinbo und Bennosuke dort hockten, gebeugt wie die Bettler, wobei sich ihre Körper zusehends verspannten. Schließlich erhob sich der Junge und meinte dabei zu hören, wie sich seine verkanteten Wirbel einer nach dem anderen wieder lösten.
    «Das ist bestimmt nicht gut für meinen Rücken», ächzte er, streckte sich und ließ die Hüften kreisen.
    «Ich habe schon Bauern gesehen, die jahrzehntelang schwere Lasten tragen mussten und trotzdem noch aufrecht stehen konnten», sagte Dorinbo. «Komm, beiß die Zähne zusammen. Noch zwei, dann haben wir es für heute geschafft.»
    «Du solltest dir einen Lehrling suchen.»
    «Einen jungen Mann, der mir bei der Arbeit hilft, meinst du?» Dorinbo lachte. «Ich glaube, so jemanden habe ich schon.»
    «Mich?», erwiderte der Junge verblüfft.
    «Hast du nie daran gedacht?», fragte Dorinbo und erhob sich ebenfalls.
    «Äh, nein.» Bennosuke wusste nicht, was er sagen sollte. «Es ist nur …»
    «Was?», erwiderte Dorinbo und wartete auf eine Antwort, von der er wusste, dass sie nicht kommen würde. Plötzlich war er sehr ernst. Dem Jungen wurde klar, dass sein Onkel das Thema offenbar schon seit geraumer Zeit hatte ansprechen wollen, gleichzeitig ertappte er sich dabei, wie er seinem Blick mit einem Mal schüchtern auswich.
    «Du bist jung», fuhr der Mönch fort, als er sicher war, dass Bennosuke nichts weiter sagen würde. «Das Tempelleben muss dir langweilig erscheinen. Und wahrscheinlich ist es das auch. Die Arbeit als Geistlicher oder Heiler bietet nur wenig Aufregung und wenig Ruhm, aber das heißt nicht, dass es keine stolzen, ehrenwerten Berufe wären.»
    «Das ist es nicht, Onkel. Du tust Gutes für die Menschen. Ich weiß das.»
    «Aber?», bohrte der Mönch nach. Der Junge stand da, den Blick auf den Boden neben den Sandalen seines Onkels gerichtet.
    «Es ist nur … mein Vater …», brachte er hervor.
    Dorinbo seufzte mitfühlend und schlug einen sanfteren Ton an. «Es ist jetzt acht Jahre her, dass er fortgegangen ist, Bennosuke. Und du hast mir seitdem jeden Morgen geholfen», sagte er. «Mein Bruder ist, wo er ist – aber er ist nicht hier. Er kann dir nichts beibringen, und er hat auch nicht das Recht, in seiner Abwesenheit irgendetwas von dir zu erwarten. Davon abgesehen ist dein Geist ohnehin zu scharf, um ihn auf Schwerter zu vergeuden.»
    «Ja, aber …», entgegnete der Junge lahm. Er fixierte Dorinbos Zehennägel, als würde er die Jahresringe eines Baumstamms zählen, und spürte wieder einmal die schwarze Leere aus dem Helm der Rüstung in sich hineinstarren.
    «Ich werde dich zu nichts zwingen», beruhigte ihn Dorinbo schließlich. «Aber du wirst älter, Bennosuke. Bald wirst du dich entscheiden müssen, welchen Pfad du im Leben einschlagen willst. Es gibt mehr als nur das Kriegerdasein auf dieser Welt. Du würdest einen guten Arzt abgeben – oder einen Priester oder Gelehrten. Versprich mir wenigstens, dass du darüber nachdenkst.»
    Der Junge murmelte etwas, das weder ein Ja noch ein Nein war. Dann hockte er sich wieder hin und setzte die Arbeit fort. Kurz spürte er den Blick seines Onkels noch im Nacken, dann setzte auch er sich wieder an sein Flechtwerk.
    * * *
    Viele Wegstunden von Miyamoto entfernt verzog der junge Fürst Hayato Nakata verärgert den Mund. Er konnte nicht anders. Er befand sich inmitten dessen, was von Kannos Burg noch übrig war, ein Gerippe aus verkohlten Balken und angesengten Mauerresten. Herumstolzierend blickte er mit kritischer Miene hin und her, die Hände vom Berühren der Überreste schon rußschwarz.
    «Jahre, Hoheit», sagte der Baumeister an seiner Seite, den Blick gesenkt.
    Seit der Schlacht war eine Woche vergangen. Während sein Vater und Fürst Shinmen schon abgereist waren, war Hayato

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