Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
niederbrennen. Es ist ein neuer Anfang für uns alle.»
«Hübsche Geschichte», bemerkte Tasumi. «Willst du den wahren Grund erfahren? Es ist eine gute Übung, weiter nichts. Alle zwanzig Jahre bekommt eine neue Generation von Baulehrlingen die Möglichkeit, den Tempel wieder aufzubauen. Es ist ein kleiner, einfacher Bau, an dem sie die grundlegenden Techniken lernen. Gleichzeitig dürfen sie sich auch noch ganz heilig und besonders vorkommen. Die Mönche kriegen bei der Gelegenheit einen neuen Tempel, und so sind alle zufrieden.»
Tasumi wandte sich für einen Moment mit einer abschätzigen Handbewegung ab. Er richtete den Blick ins Dojo, bis er fand, dass er seinen Widerwillen gegen alles Verweichlichte, Passive deutlich genug zum Ausdruck gebracht und seiner Samurai-Ehre Genüge getan hatte. Dann sah er den Jungen wieder an, nun als Mann und Onkel.
«Schau mal», sagte er in sanfterem Ton, «Dorinbo ist ein guter Mann. Was er macht, ist wirklich wertvoll. Aber … denk bitte dran, deinen Verstand zu gebrauchen, wenn dir jemand so was einreden will. Einen echten heiligen Zweck oder so gibt es nur sehr selten. Achte auf die wahre Bedeutung der Dinge, nicht darauf, was behauptet wird, ja?»
«Ja, Onkel.»
«Also, was ist los?»
«Ich …», begann der Junge und verstummte.
Ihm fehlten die Worte. Der Besuch der Ruinen hatte ihn wie stets tief berührt, und im Geiste durchlebte er noch einmal den Morgen nach dem Erdbeben und dem schrecklichen Feuer. Er erinnerte sich an die letzten Worte, die sein Vater gesagt hatte, bevor er das Dorf verließ, an jene letzten Momente, bevor ihm beide Eltern genommen waren.
«Bennosuke», hatte der Mann angesetzt, die Augen gerötet, vielleicht von Tränen. Hinter ihm stieg dichter schwarzer Rauch in den Himmel. «Sei tapfer, sei ein Samurai.»
Der Mann umfasste mit der Hand einen Moment lang seine kleine Schulter, dann erhob er sich und ging fort, ohne sich noch einmal umzusehen, bis er in der Ferne immer kleiner wurde und schließlich hinter einem Hügel verschwand.
Bennosuke fragte sich oft, ob diese Worte etwas Neues in ihm geschaffen oder nur etwas verstärkt hatten, das schon in ihm angelegt gewesen war. In Wahrheit war er tief in seinem Herzen überzeugt, zum Samurai bestimmt zu sein. Aus diesem Grund zwang er sich, die Schmach der Rüstung zu ertragen und erhobenen Haupts unter denen zu wandeln, die beim Anblick seines Ausschlags vor ihm zurückschauderten. Der Wunsch, ein Samurai zu werden, brannte heiß in ihm, auch wenn er zweifelte, je dafür geeignet zu sein.
Allein deshalb schon konnte er nicht Dorinbos Lehrling werden, aufgrund dieses instinktiven Wissens. Doch es wäre peinlich und unverschämt gewesen, es auf diese Weise zu erklären. Lügen oder Vorwände allerdings waren noch schlimmer.
Tasumi würde ihm da keine Ratschläge geben, sondern, das wusste der Junge genau, schnurstracks zum Tempel marschieren und Dorinbo anbrüllen, was ihm einfiele, so ein Angebot zu machen. Er musste diese scheußliche, beschämende Last ganz allein tragen. Dabei war ihm klar, dass es besser wäre, es jetzt anzusprechen, ehe es noch weiter vor sich hin schwärte.
Aber er war schließlich nur ein Junge. Es war einfacher für ihn, die Augen vor der Welt zu verschließen, daher wählte er den Weg des Feiglings: Er schüttelte den Kopf und ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Dorinbo verlangte eine Entscheidung für ein ganzes Leben – die musste nicht an diesem Abend oder in dieser Woche getroffen werden. Bennosuke sah Tasumi die Erleichterung an, dass ihm nun kein schwieriges Gespräch mehr bevorstand.
Statt ehrlich miteinander zu sprechen, gingen sie zum Speerfischen. Nur im Lendenschurz wateten sie in den Bach und versuchten, erschwert durch die Lichtbrechung an der Wasseroberfläche, den richtigen Winkel für den Wurf zu finden. Das war nicht leicht, aber Bennosuke nahm die Herausforderung an und konzentrierte sich, bis es allmählich dunkel wurde, der Zikadengesang einsetzte und die Schwalben zu ihren Nestern heimflogen.
Am Ende hatte er einen einzigen dicken Fisch gefangen, Tasumi dagegen drei. Sie wickelten die silbrigen Leiber in ihre Kimonos, knoteten diese zusammen und hängten sie dann an ihre geschulterten Speere. So gingen sie lachend und plaudernd nach Hause und ließen sich von der kühlen Abendluft trocknen. Sie begegneten niemandem, da die Bauern die Felder schon verlassen hatten. Die Wasserflächen der Reisfelder hatten sich in matte Spiegel
Weitere Kostenlose Bücher