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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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verschüchtert vor ihm standen. Sein Gesicht war schweißnass; er hatte gerade eine Stunde lang Paraden und Riposten exerziert. Die übrigen Schüler sahen schweigend zu.
    «Nein, Herr», murmelte der mit der Stange schließlich.
    «Und warum führst du dich dann auf wie ein Idiot?»
    «Mache ich gar nicht», erwiderte der Junge, worauf Tasumi ihn links und rechts ohrfeigte. Der Junge guckte verdutzt. «Was soll …»
    Tasumi ohrfeigte ihn erneut. «Du bist nicht gerade der Hellste, hm?»
    «Das könnt Ihr nicht machen!», protestierte der Junge mit dem Holzschwert, und Tasumi ohrfeigte beide Jungen gleichzeitig, sodass ihre Köpfe aneinanderschlugen.
    «Wenn ihr aufgepasst hättet, wüsstet ihr vielleicht, wie ihr mich daran hindern könnt», sagte er.
    «Warum sollte ich aufpassen?», entgegnete der Junge mit der Stange und sah ihn trotzig an.
    «Wie bitte?»
    «Mein Vater kümmert sich um die Finanzen des Clans. Ich werde seinen Posten eines Tages übernehmen – was soll ich dann mit einem Speer?» Dem Jungen versagte vor Wut fast die Stimme. Er schleuderte die Stange zu Boden, sodass sie quer durch die stille Halle schepperte.
    Tasumi grinste. «Ein Rechenknecht, was?»
    «Ja.»
    «Dann ist es wichtig, dass du gut zählen kannst?»
    «Ja», antwortete der Junge, aber ihm stockte die Stimme, denn mit einem Mal fühlte er sich dem grinsenden Samurai furchtbar ausgeliefert.
    «Dann wollen wir dir Gelegenheit geben, das zu üben», sagte Tasumi und legte ihm beide Hände auf die Schultern.
    Fünfundzwanzig Mal tauchte Tasumi den Kopf des Jungen in einen Wasserbottich, während er prustend mitzählen musste. Dann musste er mit einem kopfgroßen Stein in den Händen fünfzig Mal in die Hocke gehen und schließlich zweihundertmal barfuß rund ums Dojo laufen und dabei aus voller Lunge einen alten Schlachtruf schmettern.
    «Du solltest nicht so streng zu ihnen sein, Onkel», sagte Bennosuke, als sie fertig waren. Er stand mit Tasumi unter dem Vordach des Dojo und sah den nach Hause strömenden Jungen nach. Der Sohn des Buchhalters humpelte und guckte finster, noch immer hing ihm das feuchte Haar wirr um den Kopf.
    «Lehm lässt sich nicht ohne Feuer härten», knurrte der Samurai.
    «Aber so vertreibst du sie.»
    «Die kommen schon wieder», meinte Tasumi und wies mit dem Kinn auf den Sohn des Buchhalters. «Der sowieso. Glaubst du, sein Vater vergeudet gutes Geld? Er hat das ganze Jahr im Voraus bezahlt und wird mir nicht den Beutel füllen wollen, ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen. Weshalb verteidigst du die überhaupt? Sie sind doch so alt wie du.»
    Tasumi war gebaut wie ein Ringer, mit langen Armen, durch deren dichte Behaarung sich helle Narben zogen. Er war eine arrangierte Ehe mit Bennosukes Tante eingegangen, als sie kaum älter gewesen war als Bennosuke jetzt. Der Junge hatte sie nie kennengelernt, und auch Tasumi sah sie nur wenige Male im Jahr, denn sie diente in Fürst Shinmens Festung dessen Gemahlin und Mätressen als Zofe.
    Vielleicht weil es keine Blutsbande zwischen ihnen gab, fiel Bennosuke der Umgang mit Tasumi leichter als der mit Dorinbo. Aber womöglich lag es auch daran, dass Tasumi ein viel freimütigerer Mensch war. Jetzt, da das Fechten vorbei war, drängten Bennosukes alte Sorgen wieder hervor. Tasumi bemerkte die Veränderung, sah den matten Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen.
    «Du warst heute auch miserabel, ich habe dich genau beobachtet», bemerkte der Samurai. Das war seine Art, sich höflich nach dem Befinden von Bennosuke zu erkundigen. «Was ist mit dir?»
    «Nichts», wich dieser aus, aber Tasumi packte seine Hand, riss den Fechthandschuh herab und beäugte mit kritischer Miene, was darunter lag.
    «Hände wie ein Korbmacher. Kein Wunder, dass du kein Schwert schwingen kannst», tadelte er. «Der Mönch lässt dich zu hart arbeiten. Hat diese ewige weibische Flechterei irgendwas mit dem großen Feuer zu tun, das ihr plant?»
    «Ja», sagte Bennosuke und riss seine Hand fort.
    «Hat er dir erzählt, warum wir das alles tun – die Zeremonie und das ganze Trara drum herum?»
    «Die zwanzig Jahre symbolisieren die Zeitspanne, die Amaterasu in der Höhle verbrachte, nachdem ihr Bruder ihre Dienerinnen getötet hatte. Ihr Licht verschwand aus der Welt, und alles war dem Tode nah, bis man sie schließlich wieder hervorlockte. In dem Moment wurde die Welt neu geboren», antwortete der Junge mit den Worten, die er aus den Predigten kannte. «Und so ist es auch, wenn wir den Tempel

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