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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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hatten? Ebenso gut hätte er auf die Sonne wütend sein können, weil sie schien, oder auf das Gras, weil es wuchs. Bennosukes Wut kannte keine Grenzen, er konnte sie nicht erklären und nicht verstehen, und das machte ihn noch rasender.
    Jedoch durfte er ihr nicht nachgeben. Er sah sich als Samurai, und ein Samurai wurde beherrscht von Geduld, Verstand und Selbstlosigkeit. Der Junge zwang sich, tief durchzuatmen, bis er sich schließlich so weit beruhigt hatte, dass er sich erheben und mit gelassener Miene die Holzschwerter zurück an ihren Platz an der Wand hängen konnte.
    * * *
    Eines Nachmittags saß Bennosuke mit hochgezogenem Kimono auf der Eingangstreppe des Dojo. Er war den ganzen Morgen gelaufen, und jetzt saß Dorinbo vor ihm und behandelte seine entblößten Knie, versuchte wie schon an Dutzenden Nachmittagen zuvor mit Salben und Massagen die Schwellungen zu lindern.
    «Du solltest dich nicht überanstrengen», tadelte der Mönch.
    «Ich muss», gab Bennosuke zurück. «Er will, dass ich aufgebe.»
    «Und was wäre daran so schlimm?»
    «Ein Samurai gibt nicht auf.»
    «Du vernachlässigst das Lernen – und das Flechten für den Tempel», sagte der Mönch. «Hast du vergessen, worum ich dich gebeten habe?»
    «Nein», erwiderte Bennosuke. «Ich …»
    «Wozu sollen denn diese ganzen Übungen dienen? Willst du Munisai wirklich eines Tages töten?»
    «Ich werde es versuchen.» Bennosuke gab sich Mühe, tapfer zu klingen. «Du verstehst das nicht.»
    «Ich verstehe, dass solche Mühe für einen so barbarischen Zweck eine schreckliche Vergeudung knapp bemessener Lebenszeit ist», erwiderte der Mönch in traurigem Ton. «Du könntest so viel mehr erreichen.»
    Dorinbo hielt den Blick auf seine Arbeit gesenkt. Scham versetzte Bennosuke einen Stich, allerdings war er diesmal eher traurig als wütend. Er wünschte, er wäre älter und klüger und fände die Worte, zu erklären, was er empfand – sich selbst ebenso wie dem Mönch. Wenn er sich doch wenigstens zu einem Versuch der Erklärung hätte durchringen können.
    Doch eben da erschien Munisai. Ohne auch nur ein begrüßendes Nicken trat er zu ihnen und schickte den Jungen mit einer Kinnbewegung fort.
    «Ich muss mit Dorinbo sprechen. Beschäftige dich anderswo», sagte er. Bennosuke rührte sich nicht von der Stelle. Mit herausfordernder Miene hielt er Munisais Blick stand, bis der Samurai grinste, mit dem unversehrten Arm eine geschwungene Geste vollzog und höhnte: «Na, das ist doch mal ein männliches Gesicht. Ist heute der Tag, an dem du gegen mich antreten willst, Junge? Hast du den Mut dazu gefunden? Ich erwarte jederzeit deine Vergeltung.»
    Doch es war kein großer Schicksalsmoment, sondern nur ein warmer Nachmittag. Bennosuke erhob sich wortlos, verneigte sich vor dem Mönch, nicht aber vor dem Samurai, und begab sich ins Dojo, um die Brüder allein zu lassen.
    Munisai sah ihm nach, bis er im Gebäude verschwunden war. Dann wich die Geringschätzung aus seinem Gesicht. Mit nun ausdrucksloser Miene und einer knappen Handbewegung befahl er Dorinbo: «Kümmere dich um meine Wunde.»
    «Jawohl, Herr», erwiderte der Mönch.
    Munisai überhörte den Anflug von Sarkasmus, ließ sich auf der Eingangstreppe nieder und schob sich den Kimono von der Schulter.
    Nachdem Dorinbo den Verband entfernt hatte, sah er sich an, was darunter zum Vorschein kam.
    Der Arm heilte schlecht. Zwar hatte sich die Wunde endlich geschlossen und war dabei, eine hässliche Narbe zu bilden, doch das verhieß noch keine Besserung. Der Arm war immer noch schwach, und hin und wieder verlor der Samurai noch das Gefühl in der Hand, an der sich unerklärliche grüne und blaue Blutergüsse zeigten.
    Als Munisai den Mönch seufzen und vor Ratlosigkeit leise mit der Zunge schnalzen hörte, sank ihm der Mut. Natürlich hatte er keine Wunderheilung erwartet, aber ein Fünkchen blinder Hoffnung auf eine minimale Besserung hatte doch in ihm geglommen. Erlosch es, würde sich Verzweiflung in ihm einnisten, und dann wäre seine Willenskraft bald ebenso zersetzt wie sein Fleisch.
    «Wie gehen denn die Arbeiten im Tempel voran?», fragte er, um sich abzulenken. «Ihr bereitet immer noch das große Feuer vor, nicht wahr?»
    «Ja. Es gibt viel zu tun. In letzter Zeit kommen wir allerdings langsamer voran», antwortete Dorinbo. Er hatte seine Untersuchung nun beendet, ließ Munisais Arm los und suchte unter den Salben, die er für Bennosuke mitgebracht hatte, nach etwas Passendem.
    «Flechten,

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