Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
es gekommen. Dorinbo hatte gänzlich unaufgefordert Munisais Stelle eingenommen. Eine Entschuldigung schien angebracht.
Doch er war ein Samurai, und als solcher zollte er einem Mönch nicht die geringste Achtung, daher sagte er nichts.
Ehe Dorinbo wieder das Wort ergreifen konnte, wurden sie vom Klang eines Horns unterbrochen. Es war ein tiefes, sich wiederholendes Auf und Ab, das durchs ganze Tal hallte. Dann hielt der Bläser zum Luftholen inne und setzte in einer höheren Tonlage neu an. Die beiden Männer hoben den Blick und erspähten oben auf dem Kamm über dem Dorf einen Reiter, ein Tritonshorn an den Lippen. Über ihm wehte ein burgunderrotes Banner.
«Wenn ich dich noch um einen weiteren Gefallen bitten dürfte, Bruder», sagte der Samurai zu dem Mönch, ohne den trompetenden Reiter aus den Augen zu lassen. «Verberge die Wunde.»
Kapitel 6
U m seiner Wut Herr zu werden, hatte sich Bennosuke, nachdem Munisai ihn fortgeschickt hatte, ganz hinten im Dojo damit beschäftigt, einige Langstöcke zu polieren. Seine Hände hatten dem Drang widerstehen müssen, sein Kurzschwert zu ziehen und die Enden spitz zu schnitzen, bis ein grober Speer entstanden wäre, mit dem er eine grobe Tat hätte vollbringen können.
Seine Fingerknöchel wurden weiß, während die Sehnen an seinen Handgelenken gut sichtbar unter der Haut arbeiteten. Es war eine solche Versuchung, ganz in dieser stumpfsinnigen Tätigkeit aufzugehen, dass er fast froh war, als ihm der Klang des Horns etwas anderes bot, worauf er seine Aufmerksamkeit richten konnte.
Auf dem Bergkamm erschienen neben dem Hornbläser weitere Reiter. Insgesamt waren es sechs Mann auf großen Schlachtrössern, und nachdem sie dort oben kurz als gebieterische Silhouette verharrt hatten, ritten sie langsam hintereinander auf den Pfaden, die sich zwischen den Reisfeldern hindurchschlängelten, ins Tal hinab. Das prachtvolle Burgunderrot, das sie trugen, ließ ihre Leiber beinahe mit der Herbstlandschaft verschmelzen.
Während dieser Zug an ihnen vorüberritt, senkten die Bauern den Kopf zu Boden, erhoben sich dann wieder und folgten ihm ängstlich. Es bildete sich eine Art Parade, die Honoratioren voraus, die Minderen hintendrein. Da nun der erste Reiter nicht mehr ins Horn blies, hatte die Szene etwas von einem Trauerzug. Keiner der Berittenen sagte etwas, ja, sie sahen nicht einmal zu denen hinab, an denen sie vorüberkamen.
Ihre Blicke richteten sich einzig und allein auf das Dojo.
Bennosuke stand auf, den Langstock, den er gerade poliert hatte, noch in den Händen. Ein einzelner berittener Samurai war für ihn schon ein seltener Anblick; doch eine ganze Gruppe von ihnen, die in ernster Prozession herbeigeritten kam – so etwas hatte er noch nie gesehen. Als sie den schmalen Hangweg hinter sich gelassen hatten, formierten sich die sechs Männer neu und ritten nebeneinander. Auf ein Signal hin galoppierte der mit dem Horn voraus und stieg zwanzig Schritte vor Bennosuke vom Pferd. Er nahm das Banner, das er auf dem Rücken getragen hatte, in die Hand.
«Euch wird heute eine große Ehre zuteil!», rief er, sank auf ein Knie und pflanzte das Banner auf. «Ein großer Fürst besucht euer Dorf!»
Der Herold war jung, und seine helle Stimme trug nicht allzu weit. Bennosuke sagte nichts, wusste nicht, was er tun sollte. Vorsichtig sah er zu, wie die übrigen Reiter herbeikamen und von ihren Rössern stiegen. Zwei von ihnen schritten mit raubtierhaften Bewegungen heran. Der eine war ein dünner Mann mit langem Gesicht, wahrscheinlich nicht älter als der Herold. Selbst unter dem Staub der Reise wirkten seine Reitkleider kostbarer als alles, was Bennosuke je gesehen hatte. Der andere war älter, nicht so schlank, schlichter gekleidet und verhielt sich ruhig, die Hand am Schwert.
Die beiden musterten Bennosuke einen langen Moment. Aus dem Blick des dünnen Manns sprach Verachtung: Bennosukes einfache Kleidung, das einzeln getragene Kurzschwert, der unrasierte Schädel, der ihn als Kind auswies, die schlaksige Statur und der rote Ausschlag auf seiner Haut – es war nicht zu übersehen, dass er in den Augen des Mannes unrein war, eine unelegante und unerwünschte Person.
«Seid Ihr ein Samurai?», fragte der Mann schließlich.
«Ja. Und Ihr?», erwiderte Bennosuke frech. Der geringschätzige Blick seines Gegenübers machte ihn wütend.
Die anderen Männer schrien empört auf und taten, als würden sie gleich herbeieilen und ihre Schwerter ziehen. Wie Kugelfische bliesen
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