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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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leuchteten, und die unförmigen Figürchen faszinierten den Betrachter. Bennosuke hatte es als kleiner Junge das erste Mal gesehen, worauf Dorinbo es ihm erklärt hatte. Auf die kletternden Pilger zeigend, hatte Bennosuke gefragt: «Wo sind denn ihre Schwerter?»
    Eine schöne Erinnerung, die ihm jetzt einen Stich versetzte.
    Bennosuke blieb liegen, bis er draußen Stimmen vernahm. Da es an diesem Tag keine Predigt gab, hätte es eigentlich still sein müssen. Neugierig stand er auf und öffnete die Tür nach draußen. Zu seinem Erstaunen sah er dort Dorinbo und Munisai. Beide wirkten angespannt, sprachen aber in ruhigem, bedachtem Ton miteinander. Beklommen blieb er in der Tür stehen, während sie sich zu ihm umdrehten.
    «Guten Morgen», sagte Munisai, doch aus den Worten sprach weiter nichts als Höflichkeit. Seine Haltung war vollkommen neutral und entsprach der traditionellen, bedachtsam gewählten Pose, die ein Samurai einzunehmen hatte: die Brust nach vorne geschoben, während die eine Hand den Schoß der Kimonojacke zurückhielt, um mit der anderen ungehinderten Zugriff auf die Schwerter zu haben.
    «Warum bist du hier?», fragte der Junge schließlich.
    «Heute beginnt deine Ausbildung», antwortete Munisai.
    «Ausbildung?»
    «Ja.» Munisai nickte. «Wie ich gestern im Dojo sagte: Es gibt hoffnungsvolle Ansätze bei dir. Tasumi hat die Grundlagen geschaffen, und ich übernehme jetzt den Feinschliff.»
    Bennosuke blickte zu Dorinbo. Der Mönch bedeutete mit einer Geste, dass er sich Munisais Willen beugte, seiner Miene aber war die Missbilligung anzusehen. Der Junge sah misstrauisch wieder zu dem Samurai hinüber, sagte aber nichts.
    «Du hast gestern deine Gefühle überwunden», fügte Munisai erklärend hinzu. «Du hast mich nicht angegriffen, obwohl ich dich provoziert habe. Sich in solchen Situationen nicht seinen Gefühlen zu überlassen gehört auch zu den Fähigkeiten eines Samurai. Wenn du das bereits beherrschst, kann ich dir vielleicht auch noch das Übrige beibringen.»
    Der Mann schien nicht zu scherzen. Er hielt Bennosukes Blick mit gleichmütiger Miene stand, und diese Gelassenheit versetzte den Jungen in Wut. Munisai entschuldigte sich mit keinem Wort, ihm war nicht die mindeste Beschämung anzumerken. Sofort kochten der Hass und die Wut von gestern wieder in Bennosuke hoch.
    «Nein», sagte er. «Ich will das nicht. Ich brauche das nicht. Glaubst du etwa, du könntest immer noch so tun, als wärst du mein Vater?»
    «Ich habe nichts davon gesagt, dass ich dein Vater wäre», schnaubte Munisai belustigt. «Du wirst mich mit ‹Herr› ansprechen, wie es deiner Stellung geziemt.»
    Bei diesen Worten geriet Bennosuke kurz fast außer sich vor Wut. Er war drauf und dran, sich auf den Mann zu stürzen, riss sich aber wie schon am vorigen Abend zusammen. Auf Munisais Gesicht zeigte sich ein spöttisches Lächeln.
    «Ich hasse dich», entfuhr es Bennosuke, und er bereute es sofort. Die Worte waren kindisch und nutzlos und schienen Munisais Belustigung nur noch stärker zu befeuern – oder vielleicht doch zu trüben, denn obwohl seine Lippen weiterhin lächelten, verloren seine Augen ihr Funkeln und blickten nun ernst.
    «Wenn das so ist», sagte er, «dann lass dich von mir ausbilden, werde stärker und versuche dann, mich zu töten.»
    Das war eine Herausforderung, und während Bennosuke darüber nachdachte, bemerkte er deutlicher den seltsamen Blick in Munisais Augen. Dieser Blick war ihm auch am Vorabend schon aufgefallen, als Munisai gebrüllt und gewütet hatte, doch nun, da er still vor ihm stand, konnte er ihn genauer betrachten. Eine Art bitteres Sehnen lag darin, leer und düster.
    Doch was es auch genau war, es war unter einer Schicht Abscheu verborgen, die Bennosuke in Rage brachte und das Einzige war, worauf er sich in diesem Moment konzentrieren konnte.
    Er willigte mit einem knappen Nicken ein.
    «Gut», sagte Munisai. «Dann lass uns laufen.»
    * * *
    Die spätsommerliche Regenzeit fiel in diesem Jahr recht mild aus, und die Flüsse drohten kein einziges Mal, über die Ufer zu treten. Die Pflanzenwelt sog das Nass gierig auf. Dann legte man die Reisfelder trocken und begann mit der Ernte. Die Bauern schnitten mit schweren Sicheln in gekrümmter Haltung die Reispflanzen und waren froh, dass die schwüle Hitze einer angenehmen Wärme gewichen war.
    Bennosuke ging es ebenso. Er hatte Tasumi für einen strengen Meister gehalten, Munisai aber übertraf ihn an Strenge bei weitem. Der

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