Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
flechten, flechten», sagte Munisai. «Kommt einem ziemlich überflüssig vor, wenn das letztlich eh alles verbrannt wird.»
«Würdest du denn wollen, dass man deinen Leichnam ohne jede Zeremonie verbrennt?»
«Das wäre egal. Die Art, wie man stirbt, entscheidet, ob es ein guter Tod ist oder nicht – nicht, was mit den sterblichen Überresten geschieht.»
«Nein, ich frage dich wirklich, Munisai», sagte Dorinbo in beiläufigem Ton, während er einen Bambustiegel auswählte und aufschraubte. «Wäre es dir wirklich ganz egal, wenn jemand, sagen wir mal, deinen Leichnam an den Füßen durch den Dreck schleift wie einen Sack Erde, dich dann auf einen brennenden Haufen Treibholz wirft, sodass du ganz langsam geröstet wirst, bis sich deine Haut in Fetzen ablöst und du zu einem halb verkohlten Ding geworden bist, das man kaum noch erkennt? Und wenn man dieses Feuer dann einfach niederbrennen und ausgehen ließe, bis schließlich die Tiere kommen und sich um das balgen, was von dir noch übrig ist?»
Munisai dachte darüber nach.
«Nein», gab er schließlich zu.
«Siehst du», sagte Dorinbo, so geduldig wie zu einem Kind. «Und deshalb flechten wir, so lange es auch dauert und so anstrengend es auch ist.»
«Tja, wenn das so viel Arbeit ist, solltest du dir einen Lehrling zulegen», sagte Munisai mit einem einarmigen Achselzucken.
Dorinbo schien den Horizont mit einem Mal für einen fesselnden Anblick zu halten. Er biss sich auf die Lippe und zwang sich dann, die Arbeit fortzusetzen. Mit zwei Fingern nahm er einen Klacks von der grauen, schmierigen Salbe aus dem Tiegel und trug sie auf Munisais Verletzung auf. Die Narbe begann zu glänzen, und Dorinbo sah, wie sich die Rückenmuskeln seines Bruders anspannten. Diese Salbe brannte.
«Dann erzähl mir von dem Jungen», sagte Munisai, während Dorinbo ihn weiter behandelte. «Er wirkt schwach. Was hast du gerade mit ihm gemacht, als ich kam?»
«Er heißt Bennosuke», erwiderte Dorinbo spitz. «Bennosuke. Du selbst hast ihm diesen Namen gegeben.»
«Wie geht es Bennosuke?», gab Munisai nach.
«Er ist erschöpft. Seine Beine sind sehr mitgenommen.»
«Ich verlange nichts von ihm, das ich nicht auch von mir verlangen würde», verteidigte sich Munisai, der den Vorwurf heraushörte.
«Er ist noch ein Kind.»
«Er ist schon einen Kopf größer als die meisten Männer», sagte Munisai. «Mit rasiertem Schädel und Langschwert würde er bei jedem Heer des Landes als tauglich durchgehen.»
«Seine Knochen werden sich verkrümmen», protestierte Dorinbo.
«Ja, und sie werden dadurch stärker.» Munisai nickte selbstgewiss.
«Samurai …», murrte Dorinbo vor sich hin. Munisai drehte sich um und sah seinem Bruder zum ersten Mal an diesem Tag ins Gesicht.
«Ja, ich bin ein Samurai, Dorinbo», erklärte er. «Aber manchmal wünschte ich, ich wäre es nicht, denn dann wäre ich wie du in der glücklichen Lage, sagen zu können, was ich denke.»
«Nur keine Hemmungen», sagte der Mönch und sah ihm in die Augen. «Tu doch mal für einen Moment so, als wärst du nicht der, der du bist.»
«Nicht nötig. Es gibt in dieser Sache nichts, was ich dir sagen wollte.» Damit wandte Munisai sich wieder ab.
«Tja, warum solltest du auch mal etwas anders machen als in den vergangenen acht Jahren?», stichelte Dorinbo. «Richte den Jungen zugrunde, versteck dich hinter deiner stolzen Fassade, als wäre nichts, und überlass es mir, mich anschließend um ihn zu kümmern. So, wie du es immer gemacht hast.»
«Was meinst du damit?»
«Du weißt sehr gut, wie ich das meine», erwiderte Dorinbo leise. Er rieb die Salbe tief in die Wunde, und es brannte fürchterlich. Munisai biss die Zähne zusammen und musste abwarten, bis das Brennen etwas abgeklungen war, damit man ihm die Schmerzen beim Sprechen nicht anmerkte.
«Ärgert es dich also, dass du Bennosuke aufgezogen hast?», fragte er.
«Nein, natürlich nicht! Mich ärgert, dass du einfach so wiederkommst und ihn dir nimmst, als wäre nichts geschehen. Er ist ebenso mein Sohn wie deiner. Wahrscheinlich sogar eher meiner. Aber euch beiden scheint das gar nicht klar zu sein.»
Munisai dachte über Dorinbos Worte nach. Sein Bruder führte sich zwar auf wie ein Weib, aber ein Körnchen Wahrheit war wohl doch in dem, was er sagte. Es war offensichtlich, dass der Mönch gut mit Bennosuke umgegangen war, auch wenn Munisai ihn nie darum gebeten hatte. Er war einfach davon ausgegangen, dass sein Bruder es tun würde, und so war
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