Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Vertraut mir, mein Freund.»
Munisai verneigte sich vor seinem Herrn und errötete im Geiste angesichts des enormen Kompliments, das ihm der Fürst soeben gemacht hatte:
Mein Freund.
Shinmens Zuversicht teilte er jedoch nicht.
Keine andere Entschädigung als den Tod.
Munisai schwieg und fragte sich, ob Yoshikos Geist wohl zusah, hier, so nah der Stelle ihres Todes.
* * *
Fürst Shinmen übernachtete in Munisais Haus, während seine Samurai im Dojo einquartiert waren, daher hatte Bennosuke den einzigen Ort aufgesucht, wo noch Platz für ihn war: den Tempel der Amaterasu. Dort saß der Junge, schaute auf die nächtlichen Lichter des Dorfs hinab und lauschte dem Gesang der Zikaden. Wie stets, wenn er angespannt war, juckte der Ausschlag auf seinem Gesicht, und er musste sich zwingen, nicht daran zu kratzen.
Er hatte schon einen Großteil der Woche in dem Tempel verbracht. Von der panischen Flucht aus Aramaki waren seine Füße mit Wunden und eitrigen Blasen überzogen. Dorinbo wechselte täglich die Verbände, doch die Verletzungen heilten nur langsam. Bennosuke konnte mittlerweile so gerade eben wieder gehen, mehr aber nicht. Derart behindert, konnte er weiter nichts unternehmen, als neben seinem Onkel zu sitzen und Gebete zu flechten.
Der Tag des großen Feuers nahte. Nur noch wenige Schatullen waren übrig. Dorinbo widmete sich der Arbeit mit großer Hingabe, und Bennosuke versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Das Flechten lenkte ihn von seinen Phantasien ab, in denen zum Schlag von Kriegstrommeln burgunderrote Banner am Horizont auftauchten.
Er wollte sich einreden, er habe keine Angst. Zwei Mal schon hatten Männer versucht ihn zu töten, und beide Male hatte er es überlebt. Dennoch erfasste ihn eine hartnäckige Furcht. Ein Kampf auf Leben und Tod war zwar auch beängstigend, aber das war ein unmittelbares Entsetzen, das er überwinden konnte, wenn er sich auf seine Fähigkeiten verließ. Außerdem versetzte der Kampf ihn in einen Rausch. Jetzt aber sah sich Bennosuke dem Gegenteil dessen gegenüber. Er fühlte sich machtlos und klein, und das hasste er.
Der Junge wünschte, er könnte es sehen wie Tasumi oder Munisai. Die beiden Samurai schienen gegen Zweifel oder Sorgen immun zu sein. Tasumi hatte sogar gelacht, als Bennosuke ihm von der Sache erzählt hatte, sein schallendes Gelächter war durchs leere Dojo gehallt.
«Glühende Kohlen hast du nach einem geworfen?», sagte er, als er wieder Luft bekam. «Meine Güte, Junge, du bist ja ein richtiger Menschenquäler.»
«Das war das Einzige, was gerade zur Hand war», erwiderte Bennosuke verlegen.
«Und mein kleines Geschenk?»
«Oh.» Erst jetzt fiel Bennosuke der Wurfdolch wieder ein, der immer noch an seinen linken Oberarm geschnallt war. Den hatte er vollkommen vergessen.
«Siehst du, das war unklug, Bennosuke. Mit den Kohlen hast du deinen Gegner nur wütend gemacht und dir weiter nichts als ein paar Sekunden Vorsprung verschafft. Wenn du den Dolch genommen hättest, hättest du ihm die Gurgel aufschlitzen können und damit mehr Zeit gewonnen.»
«Ich verstehe, Onkel.»
«Na ja, es ist ja noch mal gut gegangen. Das hätte nun auch keinen großen Unterschied mehr gemacht. Aber denk beim nächsten Mal dran, ja?», sagte Tasumi und lachte wieder vor sich hin. «Kohlen ins Gesicht! Hat man so was schon gehört …»
«Was, glaubst du, wird jetzt geschehen?», fragte Bennosuke, als sich die Heiterkeit seines Onkels ein wenig gelegt hatte.
«Sollen sie doch kommen», antwortete der achselzuckend.
Munisai hatte überhaupt nicht reagiert, als man den Jungen zu ihm brachte. Dorinbo und Tasumi trugen ihn zwischen sich, um seine übel zugerichteten Füße zu schonen. Mit steinerner Miene hörte er sich Bennosukes Bericht an.
Dann sagte er einfach nur: «Du hättest sie alle töten sollen. Wenn keiner überlebt hätte, wüsste auch keiner, dass du es warst. Es gibt jede Menge herrenlose Krieger, die durchs Land ziehen. Es hätte auch einer von denen sein können.»
Dann hatte ihn Munisai mit einer Kopfbewegung fortgeschickt, und das war’s. Den Rest der Woche hatte Bennosuke seinen Vater kaum zu Gesicht bekommen.
Für die beiden Samurai war diese Situation, als hielte man sich in einem tiefen, reißenden Fluss an einem Stück Treibholz fest, das wusste Bennosuke. Wenn man in Panik geriet und wild zu strampeln begann, würde man sich damit erschöpfen und schließlich ertrinken. Wenn man sich aber der Strömung anvertraute, sich locker machte und
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