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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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einfach nur aufs Festhalten konzentrierte, wurde man womöglich irgendwann an Land getrieben.
    Doch so einleuchtend diese Philosophie auch war, war es doch nicht ganz leicht, sie sich auch zu eigen zu machen. Bennosuke ertappte sich dabei, wie sein Blick – einer Zunge gleich, die unwillkürlich immer wieder nach einer frischen Zahnlücke tastet – unablässig zu den fernen Laternenlichtern rings um Munisais Haus hingezogen wurde. Dort, das wusste er, wurde über sein Schicksal entschieden, und …
    Er zwang sich, die Augen davon abzuwenden, und sah sich in dem kleinen Haus zu Dorinbo um. Der Mönch saß reglos im Schneidersitz und las im Schein einer Kerze Gedichte. Nachdem der erste Schock über seine Rückkehr und seine geschundenen Füße nachgelassen hatte, war dem Mönch wie auch den Samurai kaum eine Veränderung anzumerken. Doch während das bei den beiden anderen passend erschien, wirkte es bei Dorinbo merkwürdig.
    Der Mönch bemerkte den Blick des Jungen und sah langsam von seinem Buch auf.
    «Alles in Ordnung?», fragte er. «Soll ich mich um deine Verletzungen kümmern?»
    «Nein», antwortete Bennosuke. Der Mönch versuchte weiterzulesen, aber der Blick des Jungen lenkte ihn ab, und mit gespannter Miene sah er wieder hoch.
    «Bist du mir böse?», fragte Bennosuke.
    «Nein. Warum sollte ich?»
    «Weil ich wieder getötet habe.»
    «Du bist ein Samurai. Da kommt so was vor.»
    «Wie meinst du das?»
    «Törichter, hartnäckiger Stolz führt dazu, dass der Tod hin und her pendelt. Nakata beleidigt deinen Vater – der beleidigt ihn zurück. Nakata versucht, deinen Vater zu töten – du tötest Nakatas Kämpfer. Nakata versucht, dich zu töten – du schlägst ihm einen Arm ab und tötest seine Männer. Was, glaubst du, wird als Nächstes passieren?»
    «Nakata wird erneut versuchen, mich zu töten.»
    «Genau. Und wozu das alles letzten Endes?», fragte Dorinbo. Darauf wusste Bennosuke keine Antwort.
    «Was soll ich tun?», fragte er.
    «Was du tun sollst? Tja …» Dorinbo schüttelte den Kopf und atmete tief ein. «Versuch, am Leben zu bleiben, Bennosuke.»
    «Das kriege ich hin», sagte der Junge und nickte. «Gegen die Nakata kann ich im Kampf bestehen.»
    «Nein! Siehst du? Ich sage: überleben, und du verstehst: kämpfen. Das ist die Denkweise der Samurai, die du dir zu eigen gemacht hast, als du Arima getötet hast, und genau das meine ich.»
    «Was?»
    «Kannst du gegen die ganze Welt kämpfen?», fragte der Mönch. «Denn darauf würde es ja hinauslaufen, wenn alle sich so verhalten würden wie du. Alle würden blind den schon millionenfach beschrittenen Pfaden folgen, die sie schließlich in den Untergang führen.»
    «Und was sollte ich stattdessen tun?»
    «Lauf weg. Lebe.»
    «Nein. Das kann ich nicht.»
    «Warum nicht? Nur wegen eines törichten Ideals? Aus Furcht vor der Schande? Weil Munisai, Tasumi oder sonst jemand dann schlecht von dir denken würde?»
    «Ich laufe nicht weg.»
    «Dann machst du dich mitverantwortlich an deinem Untergang – wenn nicht jetzt, dann mit Sicherheit irgendwann später.»
    «Hör auf, so zu reden.»
    «Möchtest du lieber belogen werden und verhätschelt wie ein Kind? Das werde ich nicht tun. Du wirkst reifer, als du bist, Bennosuke, und das ist es, was mich am meisten quält: dass du im Leben noch kaum die Chance hattest zu verwirklichen, was alles in dir steckt.» Bennosuke sah Tränen in Dorinbos Augen glitzern, und das hielt ihn von Widerworten ab.
    «Es tut mir leid», sagte er leise.
    «Du brauchst dich nicht zu entschuldigen», erwiderte der Mönch. «Es ist eine grausame Welt, die all das einem so jungen Menschen abverlangt. Das ist, glaube ich, der Grund, weshalb wir wiedergeboren werden dürfen.»
    «Mag sein», sagte Bennosuke.
    Er sah wieder ins Tal hinab, wollte ihnen beiden weitere Verlegenheiten ersparen. Die Laternen brannten immer noch. Er fühlte sich an das Obon-Fest erinnert, bei dem man auf Japans Seen und Flüssen Laternen schwimmen ließ, welche die Seelen der Verstorbenen symbolisierten. Sie trieben langsam fort, und irgendwann erloschen ihre Flammen in der Dunkelheit.
    * * *
    In den dunkelsten Stunden der Nacht schlief Fürst Shinmen tief und fest, den Bauch voll Alkohol. Vier Samurai standen draußen im Garten Wache, und Munisai patrouillierte über die dunklen Flure seines Hauses. Ein Attentäter hätte schon ein Hellseher sein müssen, um Shinmen hier anzugreifen, doch das Protokoll verlangte diese Bewachung, und so wurde sie

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