Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
gewährt.
Irgendwann im Laufe der Nacht stand Munisai wieder einmal vor seiner alten Rüstung. Shinmen hatte ungläubig gelacht, als er sie gesehen hatte.
«Habt Ihr die wirklich mal getragen?», fragte er.
«Munisai Hirata hat sie getragen, Hoheit», erwiderte Munisai.
«Ah. Ich bitte vielmals um Verzeihung, mein lieber Namensbruder», sagte der Fürst mit schwerer Zunge und gespielter Ernsthaftigkeit.
Er war wieder wie früher, ehe der Einfluss der Nakata ihn verdorben hatte. Offenherzig war er, und in seinen Augen lag eine Wärme, wie man sie bei einem Adligen selten fand. Munisai war nie einem anderen Fürsten begegnet, der so wie Shinmen stets zu Scherzen aufgelegt war, und auch keinem, der einem so viel Vertrauen entgegenzubringen schien. Bei einem Fürsten ging man eigentlich davon aus, dass eine ordentliche Portion Fuchsblut in seinen Adern floss, dass er über tausenderlei Gesichter für tausenderlei Verbündete verfügte und auf tausenderlei Arten bereit war, tausenderlei Opfer zu bringen.
Shinmen aber glaubte man, was er sagte.
In Gedanken kehrte er zu seiner letzten Nacht als Munisai Hirata zurück, am Vorabend des Finales des großen Turniers. Er hatte in irgendeiner Kaschemme miesen Sake aus der Flasche getrunken und sich nicht darum geschert, dass er am nächsten Tag gegen einen der besten Schwertkämpfer des Landes anzutreten hatte. Dazwischen lag noch eine Nacht, und mehr brauchte er nicht. Dann jedoch waren Männer in feinem Blau aufgetaucht und hatten ihn abgeführt.
Es lag damals schon etwas über drei Jahre zurück, dass er Yoshiko getötet und Miyamoto verlassen hatte. Sein Kimono starrte vor Schmutz, Haar und Bart wucherten ungezähmt. Seit Wochen hatte er nicht gebadet, und er sah es den Männern an, die ihn auf die Straße verfrachteten, dass sein Gestank sie ekelte.
Gut so. Sollen die Dreckskerle doch leiden.
Die Wut und Schmach, die in den Wochen und Monaten nach Yoshikos Tod in ihm gelodert hatten, waren inzwischen auf einen dumpfen Groll gegen alles und jeden heruntergebrannt. Er beäugte jedermann argwöhnisch, blickte stets verbissen und war mit dem Schwert schnell zur Hand. Mordlust beherrschte ihn, und er musste sich sehr zurückhalten, sich nicht gegen die blauen Männer zu wehren, aber ihm stand der Sinn nicht danach, am nächsten Tag langsam wegen Stadtfriedensbruchs zu Tode gefoltert zu werden.
Auf den Straßen von Osaka war stets viel Verkehr, während des Turniers aber herrschte dort ein ganz besonders dichtes Gedränge. Die Samurai mussten sich einen Weg durch die Menge bahnen, und dabei half es nicht gerade, dass immer wieder Leute stehen blieben, um Munisai anzugaffen und zu tuscheln. Inzwischen war er berüchtigt. Bei dem Turnier wurde mit Holzschwertern gekämpft, es ging also eher um Kampfkunst als um blutrünstiges Gemetzel, und von den teilnehmenden Samurai wurde ein gewisses Maß an Zurückhaltung erwartet. Munisai jedoch – ein herrenloser, verdreckter Krieger inmitten makelloser Soldaten – hatte bereits zwei Rippenbrüche und einen Armbruch verursacht und einen Mann mit solcher Wucht seitlich am Kopf getroffen, dass der nach einer Augenblutung erblindet war.
Viele protestierten, aber keiner konnte ihn aufhalten. Wie berüchtigt er inzwischen war, verrieten ihm die morbiden Blicke der Passanten. Seine zornige Seite nahm das mit einem gewissen trotzigen Stolz wahr, der verborgenen ehrlichen Seite aber tat es weh. Es gemahnte ihn an seine Jugend, als er stolz einhergeschritten war und Männer ihm bewundernde, Frauen ihm begehrende Blicke zugeworfen hatten.
Seine Eskorte linderte dieses Unbehagen nicht gerade: Munisai kannte den blauen Farbton, den sie trugen, nur zu gut. Seine Familie, die Hirata, hatten dem Shinmen-Clan schon vor Generationen Gefolgschaft gelobt, er jedoch hatte sich vor diesem Dienst gedrückt, als er nach seinem Fortgang aus Miyamoto auf Wanderschaft gegangen war. Der Fürst war nicht gerade für seine Versöhnlichkeit berühmt.
Die Samurai brachten ihn zur Burg im Herzen der Stadt. Sie war ein Neubau, und ihre makellos weißen Mauern waren noch von keiner Schlacht gezeichnet. Verschachtelt angelegt und klug entworfen, bestand sie vor allem aus einer Abfolge konzentrischer Befestigungsmauern, die sich verjüngend einen von Menschenhand aufgeworfenen Hügel emporschoben. Ihr kleiner Trupp passierte etliche Kontrollpunkte, bis sie schließlich in dem herrschaftlich wirkenden Gästequartier angelangten. Dort verharrten sie vor den Türen
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