Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Shinmen noch einmal, und sei es auch nur, um die Stille zu durchbrechen.
«Wie stellt Nakata die Geschichte dar?», fragte Munisai.
«Der junge Fürst Nakata behauptet, Bennosuke sei aus einem Duell gegen seinen Kämpfer Kihei Arima siegreich hervorgegangen. Es sei ein regelgemäßer, fairer Kampf gewesen, und so weit vermag ich das gerade noch zu glauben. Ginge es um irgendeinen anderen Dreizehnjährigen, hätte ich große Zweifel. Aber Euer Sohn? Ja, mag sein. Er muss sehr fähig sein – oder großes Glück gehabt haben.»
«Sowohl als auch.»
«Wie dem auch sei. Nachdem Nakata dieses Dorf verließ, reiste er nach Aramaki und blieb dort.»
«Er hat sich zu sehr geschämt, um nach dieser Niederlage nach Hause zu kommen», sagte Munisai und gestand sich zähneknirschend ein, dass er diese Möglichkeit in Betracht hätte ziehen müssen.
«Mag sein», meinte Shinmen und nickte. «Er aber behauptet, er habe die Stadt und die dortige Garnison für mich inspiziert. Hauptmann Tomodzuna war während des Zwischenfalls nicht vor Ort, aber seinen Männern zufolge inspizierte Hayato einzig und allein das Innere einiger Schenken, wo er sich betrank und in eine große Wut hineinsteigerte. Es gab jede Nacht Ärger. An dem betreffenden Tag dann habe Euer Sohn, behauptet Nakata, ihn und seine Männer auf offener Straße überfallen. Einen Mann habe er sofort getötet und dann dem Fürsten den Arm abgeschlagen. Anschließend fiel noch ein weiterer Mann, und als Eurem Sohn klargeworden sei, dass er zahlenmäßig unterlegen war und er das Überraschungsmoment nicht mehr auf seiner Seite hatte, sei er vom Tatort geflohen.»
«Glaubt Ihr das?», fragte Munisai.
«Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Die Aussagen der Zeugen sind höchst widersprüchlich. Einige behaupten, sie hätten einige Straßen entfernt eine Auseinandersetzung zwischen Nakatas Männern und einem Samurai gesehen, bei dem es sich der Beschreibung nach um Euren Sohn gehandelt haben könnte, andere wiederum behaupten, sie hätten gesehen, wie Bennosuke den Fürsten angriff, während der unbewaffnet war.»
«Ihr zieht ja sicherlich in Betracht, welche Wirkung Nakatas Geld auf das Erinnerungsvermögen mancher Leute haben könnte, nicht wahr, Hoheit?»
«Das spielt keine Rolle. Es war kein Samurai unter den Zeugen. Bauern, Händler, Handwerker – ich traue ihrem Wort ebenso wenig, wie ich dem Wort eines Fuchses trauen würde. Mit Sicherheit weiß ich nur, dass Hayato Nakata nun ein Arm fehlt.» Der Fürst seufzte, ehe er fortfuhr. «Glaubt Ihr, Euer Sohn könnte all das getan haben?»
«Er ist barfuß bis hierher geflohen», erwiderte Munisai und dachte daran, in welch verheerendem Zustand sich die Fußsohlen des Jungen befunden hatten. «Wenn er das geplant hätte, hätte er sicherlich daran gedacht, sich Sandalen anzuziehen.»
«Wohl wahr.»
«Bennosuke behauptet, der Angriff sei von Nakata ausgegangen, und ich glaube ihm. Der Junge ist ein Hitzkopf, aber er ist kein mörderischer Narr. Ich vertraue ihm.» Er brauchte eine kurze Pause, ehe er die nächsten Worte über die Lippen brachte: «Er ist mein Sohn.»
Shinmen bemerkte das kurze Schweigen nicht – warum auch? Für ihn war das einfach nur eine Tatsache, kein Bekenntnis. Er antwortete: «Dennoch ist Nakata ein großer Fürst. Sein Wort hat immenses Gewicht.»
«Ich werde mich jeder Entscheidung beugen, die Ihr zu treffen geruht, Hoheit. Euer Wille ist mir stets Befehl.»
«Munisai, Ihr müsst mir nichts vorspielen», sagte Shinmen, verblüfft über den Mangel an Widerspruch. «Ihr könnt mir Eure wahren Gefühle ruhig offenbaren.»
«Ich hege keine, die Ihr nicht ebenfalls im Herzen tragt, Hoheit.»
«Ihr wart nicht immer so», sagte Shinmen, leicht belustigt über dessen neue Unterwürfigkeit.
«Mir ist glücklicherweise wieder klargeworden, wer ich sein sollte, Hoheit», erwiderte Munisai mit immer noch regloser Miene. Shinmen gab es auf.
«Also gut», sagte der Fürst. «Die Lage ist schwierig, aber Ihr solltet Euch keine Sorgen machen. Ich bin mir sicher, dieser Streit lässt sich beilegen, bevor er weitere Kreise zieht. Wir werden uns zu Fürst Ukita begeben. Nakata ist ihm ebenso eingeschworen wie ich. Dort werden wir zu einer Lösung gelangen. Es darf innerhalb unseres Bündnisses zu keinem Konflikt kommen.»
«Wie Ihr wünscht, Hoheit.»
«Ihr könnt mir vertrauen», sagte Shinmen, der ihm die Zweifel ansah. «Ich kenne Nakata. Wir werden das überstehen – und Euer Sohn auch.
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