Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
»Machst du hier Urlaub?«
Sie saß noch da.
»Ja.« Ich schluckte ein paarmal, um meine Stimme wieder in den Griff zu bekommen. »Eigentlich sollte ich mit meinem Bruder in den Pyrenäen wandern gehen.«
»Mit deinem Bruder?« Sie reckte den Hals und schaute sich um. »Ist er auch hier?«
»Nein, leider nicht.« Ich spürte, dass ich wieder sicherer wurde. Wenn die Leute hörten, dass Martijn das Gesicht von Deseo war, strahlte das auch auf mich ab. »Wir sollten zusammen auf Wandertour gehen, aber dann bekam er auf einmal einen besonderen Auftrag von Sergio de la Rosa. Du kennst ihn bestimmt, der aus der Deseo-Werbung.«
Ihre Augenbrauen rundeten sich zu hohen Bögen. »Sergio de la Rosa macht bei einem Werbespot mit?«
»Nein, mein Bruder Martijn natürlich.« Ich ärgerte mich, dass sie nicht beeindruckt war. »Er ist eigentlich kein Model, sondern Schauspieler von Beruf und jetzt ist er irgendwo an einem geheimen Ort untergetaucht und bekommt Schauspielunterricht von diesem Sergio de la Rosa. Daraus wird auch ein Film gemacht. Irgendwann demnächst kannst du meinen Bruder also im Kino sehen.«
Sie zuckte die Schultern. »Ich mag keine Filme. Sie verdrehen die Wirklichkeit.« Ihre Augen bekamen wieder diesen herausfordernden Blick. »Sogar so etwas Abscheuliches wie ein Slum sieht im Film schön aus. Nur eine Frage der richtigen Beleuchtung. Und dann sagen Schauspieler auch noch am laufenden Band tiefsinnige oder witzige Sachen, während die Gespräche echter Menschen meistens oberflächlich und todlangweilig sind. Und was hältst du von dieser grässlichen Filmmusik? Passiert etwas Trauriges – jemand stirbt oder so –, hört man plötzlich die anschwellenden Geigen. Na, während der Scheißmomente in meinem Leben spielte rein gar nichts. Das ist nur ein Trick der Filmemacher, um einen zum Heulen zu bringen.«
Val schien mir nicht zu den Mädchen zu gehören, die schnell feuchte Augen bekommen. »Okay, okay. Ist schon klar.« Ich hob die Hände, als würde ich mich ergeben. »Ich brauche dich also nicht mehr zu fragen, ob du mit mir ins Kino gehst.«
»Entschuldige.« Sie lächelte eher frech als entschuldigend. »Dein Bruder, sagtest du?«
»Na ja, wegen diesem Film wird also nichts aus meinem Urlaub mit Martijn und ich will auch nicht nach Hause. Deswegen habe ich beschlossen, ein bisschen allein herumzuziehen.« Ich hoffte, dass es selbstsicher klang.
»Und das fanden deine Eltern sofort in Ordnung?«, fragte sie ungläubig.
»Meine Mutter weiß nichts von meinen Plänen. Ich will sie nicht unnötig beunruhigen, kurz bevor sie auf Reisen geht. In ein paar Tagen fliegt sie mit ihrem neuen Freund Carl in die Staaten. Ich mag ihn nicht besonders, deswegen hatte ich keine Lust, sie zu begleiten.«
»Und dein Vater?«
»Der lebt nicht mehr.«
Ihr linkes Augenlid zitterte kurz. »Oh, das tut mir leid.«
»Das konntest du nicht wissen.«
Sie schwieg ein paar Sekunden.
Dann fragte sie: »Hast du noch mehr Geschwister, die in Spanien wohnen?«
Es war fast ein Interview. Nicht, dass es mich störte. Fragen beantworten war leichter, als selbst ein Gespräch am Leben zu halten. Eigentlich fühlte ich mich sogar ziemlich fantastisch. Ich meine, so oft passierte es mir nicht, dass sich ein attraktives Mädchen für mich interessierte.
»Ich bin das einzige Kind meiner Mutter«, sagte ich.
»Und was ist mit Filmstar Martijn?«
»Er ist mein Halbbruder. Seine Eltern gingen auseinander, als er acht war. Sein Vater traf meine Mutter und ein Jahr später wurde ich geboren. Ihre Beziehung war bald vorbei, aber Martijn traf ich regelmäßig. An den Wochenenden, an denen ich meinen Vater besuchte, war er auch immer da. Na ja, bis zu seinem Studium in Spanien. Da sahen wir uns nur noch während der Ferien. Als mein Vater starb, ist der Kontakt zwischen Martijn und mir noch enger geworden. Seine Mutter lebt auch nicht mehr, ich bin also die einzige Familie, die er hat. Darum sehen wir uns mindestens zweimal im Jahr. Meistens in Holland und manchmal auch in Spanien.«
Sie legte die Hand auf die Landkarte. »Und jetzt willst du ganz allein herumreisen?«
»Ja. Keiner vermisst mich. Und du?«
»Ich bin auch Backpackerin.«
Mein Herz klopfte bis zum Hals. »Allein?«
»Nun…« Wieder reckte sie ihren langen Hals. Ihre Hand ging hoch und sie winkte einem Jungen, der am Fenster lehnte. Zu seinen Füßen standen zwei Rucksäcke.
»Du hast einen Freund?« Ich hörte selbst, wie enttäuscht das klang.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher