Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Die Arbeit geht gut, heute beginne ich.« 60
In der Pension der Gräfin Walewska in der Jasnaja bezog sie ein Zimmer. Wenige Tage nach ihr nahm Leo Jogiches als Korrespondent
der »Leipziger Volkszeitung« unter dem Namen Otto Engelmann dort ebenfalls Quartier. Der von ihm geleitete »Czerwony Sztandar«
kam inzwischen in Warschau heraus. Aufmerksam und streng kümmerte Jogiches sich um alles – um jeden Artikel, jede Notiz, um
den selbstlosen Einsatz der Journalisten, Setzer, Drucker und Techniker. Der Druck mußte oft gewaltsam erzwungen werden, doch
trotz widriger Umstände erschien das Blatt relativ regelmäßig und wurde durch mutige Genossen verbreitet. Neben der Redaktionstätigkeit
sorgte er sich verantwortungsvoll um die gesamte Parteiarbeit, die während der Revolutionszeit bisher unbekannte Formen und
Ausmaße annahm. Die SDKPiL, 1904 eine nur wenige Hundert zählende Gruppe, hatte jetzt fast 30 000 Mitglieder. Die führenden Funktionäre der nach wie vor illegalen Partei waren im Königreich Polen oder in Krakau tätig,
während die Auslandsleitung an Bedeutung verlor.
Zu ihrem persönlichen Schutz wurde Rosa Luxemburg von den Freunden untersagt, auf Versammlungen und Demonstrationen aufzutreten.
Sie durfte kein Theater und kein Konzert besuchen. An Beratungen der Parteiführung sowie der Redaktion des »Czerwony Sztandar«
nahm sie jedoch teil. Allen, die mit ihr im Untergrund in Berührung kamen, blieb sie in lebhafter Erinnerung. Karl Radek hob
in seinen Memoiren hervor: »Wir alle, die wir damals, alles junge Burschen, zu ihr als unserer Lehrerin hinaufblickten, sind
für unser Leben lang von ihrer Arbeit befruchtet worden, selbst, wo wir mit den Resultaten dieser Arbeit nicht einverstanden
waren; denn die Art der Behandlung der Streitfragen der Bewegung, ob es Fragen waren, mit denen sich der internationale Sozialismus
schon auseinandersetzte, denen aber Rosa Luxemburg in der neuen revolutionären Situation immer ein ganz neues Gesicht abzugewinnen |239| wußte – so die Frage der Gewerkschaften und die Rolle der Partei während der Revolution 1905/06 –, ob es neue Fragen waren,
wie die Bedeutung des Massenstreiks in der Revolution, in allem zeigte sich Rosa Luxemburg frei von jedem Dogmatismus, den
man dem orthodoxen Marxismus vorwarf, zeigte sich immer als die Schülerin der Wirklichkeit. Der Marxismus war für Rosa Luxemburg
niemals ein starres Resultat, sondern immer lebendige Forschungsmethode.« 61
Auch in Warschau war sie vorwiegend publizistisch tätig, schrieb Artikel, Aufrufe und Flugblätter. Ihre dort ansässigen Geschwister
sah sie selten. Die Revolutionärin fand kaum Zeit für private Besuche und wollte ihre Angehörigen auch vor Verdächtigungen
der russsischen Geheimpolizei schützen.
Die Verbindung zu ihren Freunden in Berlin und zu den Redaktionskollegen im »Vorwärts« ließ sie nicht abreißen. Es beruhigte
sie, daß Hans Block, ein erfahrener Journalist von der »Sächsischen Arbeiter-Zeitung«, 1906 zum Leiter der »Vorwärts«-Redaktion
berufen wurde. Zu ihrem großen Bedauern fiel ihr nur selten eine deutsche Zeitung in die Hände. Umgekehrt sorgte Rosa Luxemburg
jedoch für möglichst umfassende Berichte nach Deutschland. Sie schrieb von ihren Erlebnissen, teilte ihre Meinung über die
Situation in der russischen und polnischen Arbeiterbewegung mit und informierte über die Aussichten der Revolution. Unmittelbar
nach ihrer Ankunft in Warschau schrieb sie Kautskys – »aber nur für Euch« –, daß der Generalstreik im Dezember ziemlich mißlungen
und die Stimmung schwankend und abwartend sei. Der bloße Generalstreik habe seine Rolle für die russische Revolution ausgespielt;
jetzt könne nur ein direkter, allgemeiner Straßenkampf die Entscheidung bringen. Man müsse den Massen erklären, weshalb der
jetzige Streik äußerlich »resultatlos« verlaufen ist. Kriegszustand herrsche und grimmige Kälte. Jeden Tag würden in Warschau
ein bis zwei Personen von Soldaten erstochen, Verhaftungen vorgenommen und mit Hausdurchsuchungen besonders die Druckereien
schikaniert.
Zwischen Petersburg und Moskau gebe es große Unterschiede in der Situation wie in der Kampfesweise der Partei. Rosa Luxemburgs
Sympathie galt mehr den Moskauer Revolutionären und jenen, die angesichts des Kriegszustandes und |240| des Vierklassenwahlrechts für eine Ablehnung der Wahlen zur Duma eintraten. Mitten im Trubel, schrieb sie,
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