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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Dzielnastraße, überführt. Damit war ein |244| erster Fluchtplan zum Scheitern verurteilt. Auch hier erhielt sie Informationen über den Fortgang der Arbeit »draußen« und
     Nachrichten von ihrer Familie, die zu ihrem Bedauern aus ihrem Fall »eine so tragische Geschichte macht« und die Genossen
     »inkommodiert«. Sie sei ganz ruhig, und es falle ihr nicht ein, dem Verlangen ihrer Freunde nachzugeben und sich an Witte,
     den russischen Ministerpräsidenten, oder an den deutschen Konsul um Hilfe zu wenden. »Die Herren können lange warten, bis
     eine Sozialdemokratin sie um Schutz und Recht bittet. Es lebe die Revolution!« 72 Ein »sitzender« Mensch müsse sich leider immer nach allen Seiten hin dagegen wehren, entmündigt zu werden. Sie wollte nicht
     über Gnadengesuche »befreit« werden. Auf keinen Fall wollte sie Regierenden wie etwa Reichskanzler von Bülow etwas danken
     müssen. Sie könnte doch »nachher nicht mehr in der Agitation über ihn und die Regierung frei reden, wie sich’s gehört« 73 , schrieb sie stolz, als sie von Erwägungen deutscher Sozialdemokraten erfuhr, sich an den deutschen Reichskanzler zu wenden,
     um ihre Freilassung und ihre Auslieferung nach Deutschland zu erwirken. Allerdings wären entsprechende Bemühungen auch sicher
     erfolglos geblieben.
    Im Pawiak mußte Rosa Luxemburg ab 4 Uhr morgens Höllenspektakel ertragen. »Die ›gemeinen‹ Kolleginnen zanken sich ewig und
     kreischen, und die ›myschuggenen‹ kriegen Wutanfälle, die natürlich bei dem schönen Geschlecht hauptsächlich in einer erstaunlichen
     Tätigkeit der Zunge Luft finden.« Sie bewähre sich zum Teil als »Dompteuse des falles« (Irrenbändigerin), Essen bekäme sie
     mehr, als sie brauche, der tägliche Spaziergang und Verbindung zur Außenwelt seien gewährleistet. Von 21 Uhr bis nachts 2
     Uhr könne sie sich sammeln und arbeiten. Sie schrieb an Broschüren und Artikeln, las in Kautskys eben erschienenem Buch »Ethik
     und materialistische Geschichtsauffassung«, freute sich über die zahlreichen Briefe von Kautskys, Henriette Roland Holst und
     anderen Freunden, über Nachrichten aus Deutschland und über Blumen, die sie fast täglich in ihre Zelle bekam. 74 Den Direktor des Gefängnisses beeinflußten ihre Freunde so lange, bis in dessen Dienstzimmer regelmäßig Absprachen zwischen
     ihr und den Genossen möglich waren, die ihr zur Flucht verhelfen |245| wollten und sie über die Arbeit auf dem laufenden hielten. 75 Ungeduldig wartete sie darauf, nach Petersburg zu kommen, wo ein großes Tohuwabohu herrsche und es an Entschlossenheit und
     Schneidigkeit mangele. »Kreuzhageldonnerwetter, ich glaube, ich würde die Leute alle ganz blau und braun wachrütteln!« 76 So reagierte sie, wenn sie aus der Presse oder durch Gespräche z.B. mit Jakub Hanecki, der sie mehrmals besuchte, Nachrichten
     vom »Nordpol«, d. h. aus Petersburg, erhielt.
    Ein wesentlicher Streitpunkt unter den polnischen und russischen Sozialdemokraten war der Boykott der Dumawahlen. Hier attestierte
     Rosa Luxemburg den revolutionären Arbeitern ein wesentlich ausgeprägteres Urteilsvermögen als ihren »Führern«. »Ritter ›Georges‹
     von der traurigen Gestalt« habe »wacker an der Blamage der Partei mitgewirkt«. 77 Es sei für ihn wie für andere, die aus der Schweiz nach Rußland zurückkehrten, schwer, beim Sprung in das »himmelweit verschiedene
     Milieu« Rußlands richtige Entscheidungen zu treffen, »ohne sich politisch den Hals zu brechen«. Plechanow, »der doch gewissermaßen
     zu den Leuchten des internationalen Marxismus gehörte«, »der grimmige Bernsteinfresser im Ausland, ist in seinem eigenen Lande,
     mitten in der Revolution zum ärgsten Opportunisten geworden. Und während Wassiljew [N. W., kam 1905 aus Bern zurück, Anhänger
     Plechanows] einen Brei aus allen Oppositionsparteien darstellen will, rührt Pl[echanow] fleißig die Trommel in bürgerlicher
     Presse Petersburgs für einen Wahlblock der Sozialdemokratie mit dem Liberalismus auf Grund eines gemeinsamen politischen Minimalprogramms
     – natürlich unter Preisgabe der soz[ial]d[emokratischen] Grundforderungen der Revolution: der Republik und der konst[itutionellen]
     Versammlung. So ändern sich die Zeiten und die Menschen.« 78
    Rosa Luxemburgs Ungeduld wuchs, je näher der IV. Parteitag der SDAPR rückte, auf dem der seit 1903 umstrittene Anschluß der
     SDKPiL an die SDAPR erfolgen sollte. Jakub Hanecki erinnerte sich: »Es wurden eine

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