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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Juli erfuhren die deutschen Sozialdemokraten durch den »Vorwärts« davon. Physisch geschwächt, ermüdeten
     Rosa Luxemburg die vielen Laufereien zur Gendarmerie, Staatsanwaltschaft und anderen Institutionen, die sie nach der Entlassung
     zu bewältigen hatte. Die allgemeine Lage aber sei ausgezeichnet, schrieb sie an Luise und Karl Kautsky am 8. Juli, die einzigen
     Pfuscher seien |248| Plechanow & Co., »und mir kribbelt es in den Fingern, mit ihnen eine Generalabrechnung zu halten. Sobald ich ein
     sichereres Dach über meinem (stark ergrauten) Haupte habe als in diesem Augenblick, werde ich sofort arbeiten, daß es kracht,
     und vor allem die ›Neue Zeit‹ überschwemmen …« 84
    Sie konnte wieder intensiver mit ihren deutschen Freunden korrespondieren. Kautskys, Emanuel Wurm, Franz Mehring und Arthur
     Stadthagen erhielten öfter von ihr Post. Mitteilungen von neuen Auseinandersetzungen über das Für und Wider eines politischen
     Massenstreiks kommentierte sie mit bissiger Ironie. »Hier ist die Zeit, in der wir leben, herrlich, d. h., ich nenne sie eine
     herrliche Zeit, die massenhaft Probleme und gewaltige Probleme aufwirft, die Gedanken anspornt, ›Kritik, Ironie und tiefere
     Bedeutung‹ anregt, Leidenschaften aufpeitscht und vor allem – eine fruchtbare, schwangere Zeit ist, die stündlich gebiert
     und aus jeder Geburt noch ›schwangerer‹ hervorgeht, dabei nicht tote Mäuse gebiert oder gar krepierte Mücken, wie in Berlin,
     sondern lauter Riesendinge allwie: Riesenverbrechen (vide Regierung), Riesenblamagen (vide Duma), Riesendummheiten (vide Plechanow
     & Co) etc. Ich zittere vor Lust im voraus, ein hübsch gezeichnetes Bild all dieser Riesenhaftigkeit zu entwerfen
     – selbstverständlich vor allem in der ›Neuen Zeit‹.« 85
    Ihre polnischen und deutschen Freunde rieten ihr jedoch, sich erst einmal zu erholen. Auf Grund eines neuen ärztlichen Attestes
     wurde ihr Ende Juli erlaubt, zu einer Kur ins Ausland zu reisen.
    Statt dessen fuhr Rosa Luxemburg zunächst sofort nach Petersburg, wo sie am 1. August eintraf. Hier begegnete sie als einem
     der ersten Feliks Dzierżyński, der seit dem Stockholmer Parteitag dem Zentralkomitee der SDAPR als Vertreter des Hauptvorstandes
     der SDKPiL angehörte und in Petersburg mit Lenin zusammenarbeitete. Trotz aller Gefahren – bei der ersten Zusammenkunft mit
     russischen Freunden wäre sie beinahe wieder verhaftet worden – war Rosa Luxemburg politisch aktiv. So besuchte sie unter fremden
     Namen eingekerkerte Revolutionäre, unter anderem sprach sie mit Alexander Parvus und Leo Deutsch. Nachdem sie mit Menschewiki
     zusammengetroffen war, fällte sie ein hartes Urteil: »Der allgemeine |249| Eindruck der Zerfahrenheit, der Desorganisation, vor allem aber die Verwirrung in den Begriffen, in der Taktik hat mich vollends
     disgustiert.« 86
    Erst am 10. August 1906 begab sich Rosa Luxemburg nach dem eine Stunde von Petersburg entfernten, schon auf finnischem Boden
     liegenden Erholungsort Kuokkala. Sie wurde von der Malerin Jekaterina Sarudnaja-Cavos in der Datscha Sandgot, Terschnigo Nr.
     4, aufgenommen. Um vor der ihr nachspürenden Polizei und vor Spitzeln sicher zu sein, nannte sich Rosa Luxemburg hier Felicia
     Budilowitsch, ansonsten pfiff sie auf »dergleichen Schutzengel«. 87 Mit Lenin, den Bolschewiken Alexander Bogdanow und Grigorij Sinowjew und anderen diskutierte Rosa Luxemburg über die Ereignisse
     der letzten Monate und über das »Wie weiter?«. Auch ihren alten Freunden Pawel Axelrod und Wera Sassulitsch, die in der Nähe
     von Kuokkala untergetaucht waren, begegnete sie. Im Gespräch mit den Beteiligten gewann sie einen ganz anderen Eindruck als
     aus dem bloßen Studium der Druckschriften: »Bei Gott, die Revolution ist groß und stark, wenn die Sozialdemokratie sie nicht
     kaputtmachen wird!« 88

Ich brenne vor Arbeits- resp. Schreiblust
    Gustav Stengele vom »Hamburger Echo« und Vorstandsmitglied des Sozialdemokratischen Vereins in Hamburg erinnerte Rosa Luxemburg
     im Sommer 1906 brieflich an den Wunsch nach einer ausführlichen Abhandlung. Sie nutzte die Zeit in Kuokkala für eine 64seitige
     Broschüre, die unter dem Titel »Massenstreik, Partei und Gewerkschaften« bereits Ende September in Hamburg als Manuskriptdruck
     erschien. Die Problematik stand seit Beginn der Revolution im Zentrum ihrer Erörterungen. Sie hatte sich zu diesem Thema auch
     bereits 1902 anläßlich des belgischen Wahlrechtsstreiks geäußert,

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