Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
aber Durchblicke ließen, damit die Fremden auch noch den See und das Gebirge bewundern könnten. 130
Doch schon in der ersten Dezemberwoche mußte Rosa Luxemburg Italien und Luise Kautsky verlassen, denn am 12. Dezember 1906
hatte sie »wegen Aufreizung zu Gewalttätigkeiten« vor der Strafkammer des Großherzoglichen Landgerichts zu Weimar zu erscheinen.
Ihr Verteidiger war Dr. Kurt Rosenfeld aus Berlin. Obwohl er nachwies, daß der zur Last gelegte Tatbestand in Rosa Luxemburgs
Jenaer Parteitagsrede von 1905 nicht gegeben sei, beantragte der Staatsanwalt vier Monate Gefängnis. Die Höhe des beantragten
Strafmaßes würde dadurch beeinflußt, hob dieser hervor, »daß die Angeklagte eine führende Rolle in der sozialdemokratischen
Partei spielt« 131 . Rosa Luxemburg wurde vom Gerichtshof im Sinne des § 130 des Strafgesetzbuches für schuldig erklärt und mit zwei Monaten
Gefängnis bestraft, die sie im folgenden Jahr absitzen mußte.
Dem Prozeß vor dem Warschauer Kriegsgericht am 10. Januar 1907, in dem Rosa Luxemburg und Leo Jogiches wegen Zugehörigkeit
zur Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens angeklagt wurden, stellte sie sich nicht. Da sie aus »gesundheitlichen
Gründen« nicht zur Verhandlung erschien und weder russische Polizei noch Geheimdienst ihrer habhaft |266| werden konnten, mußten Verhandlung und Verurteilung ausgesetzt werden.
Leo Jogiches hingegen wurde zu acht Jahren Zwangsarbeit und Aberkennung der bürgerlichen Rechte verurteilt. »Ihr könnt Euch
denken«, schrieb Rosa Luxemburg am 12. Januar 1907 an Mathilde und Robert Seidel nach Zürich, »wie es mir zumute ist und daß
ich nicht viel schreiben kann.« 132 Jogiches’ Verurteilung war auch für sie ein schwerer Schicksalsschlag. Sie konnte sich und ihre Freunde Zofia und Jakub Goldenberg
indes ein wenig mit einem Brief Jogiches’ beruhigen, demzufolge er »voller mutiger Zuversicht und Energie« sei. »Die Zeugen
berichteten, daß er sich während der gesamten Gerichtsverhandlung, die den ganzen Tag dauerte, und nach dem Urteil wie ein
Held hielt.« 133 Am 20. März 1907 teilte Rosa Luxemburg Kostja Zetkin mit, daß es Leo Jogiches gelungen sei, zusammen mit seinem Wächter aus
dem Gefängnis zu fliehen, und fügte hinzu: »Er wird wohl bald in Berlin auftauchen.« 134 Sie war ungeheuer erleichtert, sah aber seiner Ankunft mit Bangen entgegen, denn inzwischen war sie die Geliebte Kostja Zetkins.
Das ist eine so ganz andere Welt
Am 14. Januar 1907 begann Rosa Luxemburgs Agitationstour für die auf den 25. Januar angesetzten Reichstagswahlen. Der Reichstag
war von Wilhelm II. am 13. Dezember 1906 aufgelöst worden, weil die Mehrheit der Abgeordneten zusätzliche finanzielle Mittel
für den Kolonialkrieg in Südwestafrika verweigert hatte. Bei ihren Auftritten in Magdeburg, Thale, Kiel-Gaarden und weiteren
Orten bekam Rosa Luxemburg die schwierige Situation zu spüren, in der die deutsche Sozialdemokratie bei diesen sogenannten
Hottentottenwahlen steckte. Alle übrigen Parteien hatten sich gegen die Arbeiterpartei verbündet und führten mit finanzieller
Unterstützung der Unternehmerverbände einen aggressiven Wahlkampf, in dem sie sich zwecks Weiterführung des Kolonialkrieges
gegen die Hereros und die Hottentotten einer zügellosen nationalistischen Propaganda bedienten. Der sogenannte Silvesterbrief
des Reichskanzlers |267| von Bülow an den Vorsitzenden des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie, E. von Liebert, erhob diesen »Reichslügenverband«
zum offiziösen Wahlrepräsentanten der Regierung. Bülow behauptete, die Gefahr drohe nicht von rechts, sondern von links. Alles,
so schrieb er, »was sich etwa irgendwo in Deutschland an reaktionärer Gesinnung findet, gewinnt Kraft und Recht durch die
sozialistische Unterwühlung der Begriffe von Obrigkeit, Eigentum, Religion und Vaterland« 135 . Dennoch erhielten die Kandidaten der Sozialdemokratie rund 250 000 Stimmen mehr als 1903. Die Sozialdemokraten hatten damit das Zentrum, die Nationalliberale Partei und die Deutschkonservative
Partei weit übertroffen. Durch Stichwahlabkommen und die geltende Wahlkreiseinteilung, die der veränderten Bevölkerungsstruktur
und Besiedelungsdichte nicht mehr entsprach, büßte sie jedoch über die Hälfte ihrer Mandate ein und erhielt schließlich nur
43 Abgeordnetensitze.
Die starken Mandatsverluste waren ein Schlag, der nicht ignoriert werden konnte. In einer Rede
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