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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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der deutschen Sozialdemokratie willkommen. Nach den Gesprächen in Kuokkala 1906 war es während
     Lenins Zwischenaufenthalt in Berlin im Zusammenhang mit dem V. Parteitag der SDAPR erneut zu einem Treffen mit Rosa Luxemburg
     gekommen, dem auch Maxim Gorki beigewohnt hatte. Über Einzelheiten ihres abermaligen Gedankenaustauschs ist nichts bekannt.
     Interessant dürfte jedoch sein, daß Lenin Rosa Luxemburgs Schrift »Massenstreik, Partei und Gewerkschaften« zutreffend als
     die beste deutschsprachige Darstellung über die Bedeutung des Massenstreiks im Zusammenhang mit den westeuropäischen Besonderheiten
     des Kampfes betrachtete. 142
    In ihrer ersten Parteitagsrede unterstrich Rosa Luxemburg einmal mehr die große Bedeutung, die die Revolution in Rußland für
     die internationale und speziell für die deutsche Arbeiterbewegung hatte. Detailliert ging sie auf die Massenstreikdiskussion
     und die Ergebnisse der Reichstagswahlen ein, da der Verrat von Werten der bürgerlichen Demokratie durch den Liberalismus auch
     für die russische Partei von besonderem Interesse sei. Einzige Kämpfer und Verteidiger der demokratischen Formen des bürgerlichen
     Staates zu sein 143 würde das Proletariat Deutschlands und Rußlands einen. Sie bekräftigte ihren bereits in Broschüren und Artikeln erläuterten
     Standpunkt, die russische Sozialdemokratie möge vorangehen bei der Erweiterung und Vertiefung von Perspektiven der proletarischen
     Taktik der internationalen Bewegung und die Einheit der Partei auf »innere Geschlossenheit« und »innere Stärke« gründen. 144 Abschließend verlas sie den von Wilhelm Pfannkuch |272| unterzeichneten Brief des deutschen Parteivorstandes, der die russische Sozialdemokratie zur Einheit und Geschlossenheit aufforderte
     und solidarisch ermutigte, »weiterhin die Rolle des Führers in der Befreiungsbewegung des russischen Volkes« 145 wahrzunehmen.
    Angeregt berichtete sie Kostja sogleich von ihren Eindrücken: »Wie schade, daß Du nicht da bist! Diese vielen gescheiten und
     charaktervollen Gesichter, diese leidenschaftlichen Debatten, das bekommt man nicht so bald wieder zu sehen. Unter anderem
     ist da auch ein höchstens achtzehnjähriges Mädchen mit einem langen blonden Zopf, ihre Augen funkeln bei den Debatten, und
     sie schüttelt vor Erregung den Kopf. Ein Alter mit einem großen silberweißen Schopf und Bart und mit klugen schwarzen Augen
     hat sich mir gestern vorgestellt, er ist der Patriarch der ›Narodnaja Wolja‹, Aaron Sundelewitsch, Mitglied des berühmten
     ersten Exekutivkomitees; er hat fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit in Sibirien abgebüßt, er ging als Jüngling hin und ist nun
     als Greis zurückgekommen, eine prächtige Gestalt. Du hättest viel ästhetisch-geistigen Genuß, dies alles auch nur zu sehen;
     das ist eine so ganz andere Welt, in der die Nerven sich straff spannen, der Lebenspuls wird stark, man fühlt, daß man lebt
     und nicht vegetiert, und ich hasse so das Vegetieren, daß ich mich dagegen und [gegen] Friedenau jeden Augenblick auflehne.« 146
    Einige Tage später trat sie als Mitglied der mehr als 40 Personen zählenden Delegation der SDKPiL ans Rednerpult, die sie
     zusammen mit Leo Jogiches und Julian Marchlewski leitete. Sie ergriff zu einem Hauptpunkt des Parteitages, dem Verhältnis
     zu den bürgerlichen Parteien, das Wort. In Übereinstimmung mit den Bolschewiki und Lenin hob sie die Rolle des Proletariats
     als Haupttriebkraft der Revolution hervor und geißelte die konterrevolutionäre Haltung der liberalen Bourgeoisie. Sie wandte
     sich gegen eine dogmatische Übertragung der Anschauungen Marx’ und Engels’ von vor über 50 Jahren auf die völlig veränderten
     Verhältnisse der Gegenwart und sprach sich eindringlich für ein kritisch-kreatives Marxverständnis aus. Die Geschichte Rußlands
     zeige, daß ein revolutionärer, zur Macht strebender russischer Liberalismus ein reines Phantasiegebilde derer sei, die auf
     eine selbständige proletarische |273| Taktik verzichten und sich dem Liberalismus unterordnen wollten. 147 Ein halbes Jahr revolutionärer Bewegung und Streikbewegung hätten genügt, aus einem kleinen Häuflein russischer Sozialdemokraten
     – nicht mehr als eine Sekte – eine gewaltige Massenpartei zu machen. Dabei betonte sie: Während sie und ihre polnischen Freunde
     in der Einschätzung des Liberalismus und des Parlamentarismus übereinstimmten, gäbe es Differenzen in bezug auf das Verhältnis
     zum

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