Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
gegen die andere Richtung war zu spüren. Wohl wurde während einiger Wochen der Extrakt des ersten Bandes des ›Kapitals‹
herausgeschöpft, […] aber das ist doch eminent sozialistisch und darum also nötig.« 199
Weitere Absolventen meldeten sich zu Wort. Der »Vorwärts« |295| veröffentlichte ihre Beiträge im September 1908 zweimal unter der Rubrik »Parteischüler über die Parteischule«. Kaum war die
Diskussion entbrannt, mischten sich konservative Kräfte ein. Die »Schlesische Zeitung« bezichtigte die Schule der »wissenschaftlichen
Brunnenvergiftung«, deren »Programm sich schon in den Namen des Lehrpersonals ausdrückt, wenn man liest, daß die Genossin
Rosa Luxemburg die Lehrerin für Nationalökonomie ist und Genosse Mehring die Historie traktiert. Nimmt man hinzu, daß die
juristischen und Staatswissenschaften den Händen des Herrn Stadthagen überantwortet sind, so begreift man, daß die süddeutschen
›Genossen‹ diesem Wissenschaftsbetriebe mit einem geheimen Grausen gegenüberstehen; ihm eine Konkurrenz ins Leben zu rufen,
ist ihnen gegenüber der Tyrannei der Berliner Clique bis jetzt nicht gelungen.« 200
Der Nürnberger Parteitag der deutschen Sozialdemokratie 1908 widmete der Parteischule entsprechende Aufmerksamkeit. Im Bericht
des Parteivorstandes wurde die Überzeugung ausgesprochen, daß die Parteischule den ihr gesetzten Zweck bisher in vollem Maße
erfüllt habe. Diese Meinung wurde, so der Bericht, aus Beratungen des Parteivorstandes mit den Lehrern und Schülern gewonnen,
auf denen gewünscht wurde, die Unterrichtsstunden in den theoretischen Fächern Nationalökonomie, Geschichte und Soziologie
zu erhöhen. Auch dies war eine Anerkennung für Rosa Luxemburg, die nahezu ein Drittel der insgesamt 777 Unterrichtsstunden
lehrte.
August Bebel hatte Rosa Luxemburg persönlich darum gebeten, zum Parteitag zu kommen, und auch dafür gesorgt, daß sie ein Mandat
erhielt. Hermann Müllers Referat zum Vorstandsbericht befürwortete dann die Parteischule ebenso wie die Delegierten Max Grunwald,
Peter Berten, Wilhelm Pieck, Clara Zetkin, Paul Lensch, Leopold Liepmann und Heinrich Brandler. In ihrer Diskussionsrede sagte
Rosa Luxemburg: »Die Parteischule ist ein neues und sehr wichtiges Institut, das von allen Seiten ernsthaft gewürdigt und
kritisiert werden muß. Ich muß selbst bekennen, daß ich von Anfang an der Gründung der Parteischule mit größtem Mißtrauen
begegnet bin, einerseits aus angeborenem Konservatismus (Heiterkeit.), andererseits, weil ich mir im stillen Kämmerlein meines
Herzens |296| sagte, eine Partei wie die sozialdemokratische muß ihre Agitation mehr auf eine direkte Massenwirkung einrichten. Meine Tätigkeit
an der Parteischule hat diesen Zweifel zu einem großen Teil behoben. […] Ich habe das Gefühl, wir haben damit etwas Neues
geschaffen, dessen Wirkungen wir noch nicht überblicken können, aber wir haben etwas Gutes damit geschaffen, das der Partei
Nutzen und Segen bringen wird.« 201 Wie die meisten Redner zur Parteischulfrage bekundete Rosa Luxemburg ihr großes Interesse an sachlicher Kritik, denn die
Arbeit an der Schule sollte weiter verbessert werden. Deshalb bekräftigte sie am 14. September 1908: »In dem Lehrplan müßte
mit an erster Stelle die Geschichte des internationalen Sozialismus stehen. (›Sehr richtig!‹) Auch die Wanderlehrer des Bildungsausschusses
sollten diese Frage mehr würdigen, anstatt sich nur auf nationalökonomische Lehren zu beschränken. Die Geschichte des Sozialismus
ist in knapper Form viel leichter darzulegen, ohne daß der Gegenstand darunter leidet, als die Nationalökonomie. Die Geschichte
des Sozialismus ist für uns als Kampfpartei die Lebensschule. Wir empfangen daraus immer neue Anregungen. (›Sehr richtig!‹)« 202 Franz Mehring, der Geschichte unterrichtete, reagierte unfreundlich. Rosa Luxemburg kritisierte außerdem, daß vielerorts
das Verhältnis der Parteiorganisationen zu ihren Schülern nicht das richtige sei. Manche würden in die Schule geschickt wie
der Sündenbock in die Wüste, und andere würden nach ihrer Rückkehr mit Aufgaben überhäuft und überfordert.
Rosa Luxemburgs Hauptanliegen war jedoch die Zurückweisung der Angriffe von Kurt Eisner und Max Maurenbrecher. Kurt Eisner
habe eine so große Ehrfurcht vor der Wissenschaft, erklärte sie, daß ihr bange werde. Der Wissenschaft im allgemeinen und
besonders der sozialistischen
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