Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Kursus mit einer Rede Augusts [Bebel] und darauffolgender Besprechung mit dem Vorstand, wovon ich, wie immer, scheußliches
Kopfweh und greulichen Katzenjammer mit nach Hause gebracht habe.« 184 Zu Kostja meinte sie später einmal, sie hätte auch nicht recht gewußt, wie sie den Mund auftun werde, als sie die erste Stunde
begann, und resümierte: »Ich kam immer auf diese Weise Hals über Kopf in alle Positionen: als Redakteur des polnischen Parteiblattes
zum ersten Mal in Zürich, dann als ›Chef‹ in die ›Sächsische [Arbeiter-Zeitung]‹, dann in den ›Vorwärts‹, dann in die Parteischule.
Und es ging.« 185
Nach wenigen Tagen begann sie zu schwärmen: »Ich habe schon gestern und heute je zwei Stunden gehabt; es ging ausgezeichnet.
Ich machte heute in den zwei Stunden Repetition und Diskussion, es war Leben in der Bude, und die Leute freuten sich sehr.« 186 »Die Schüler sind sehr zufrieden und haben mir schon gesagt, daß ich ihnen von allen am besten gefalle. Einige darunter scheinen
mir sehr begabt.« 187
Pünktlich am 18. Oktober 1907 begannen die Berliner Kurse, die Rosa Luxemburg im Wechsel mit Hermann Molkenbuhr bestritt,
der ebenfalls einen Zyklus von sechs Vorträgen hielt. Offenbar war der Erfolg groß. Leopold Liepmann verteidigte auf dem Nürnberger
Parteitag 1908, auf dem über den Sinn und Kostenaufwand der theoretischen Bildungsarbeit für die Partei debattiert wurde,
im Namen der 2 500 Teilnehmer den Berliner Kursus mit den Vorträgen von Rosa Luxemburg und Hermann Molkenbuhr.
Laut Bericht des »Vorwärts« erörterte Rosa Luxemburg zu Beginn ihres Vortrags den Begriff Nationalökonomie. »Warum müssen
wir die Nationalökonomie als besondere Wissenschaft studieren? Solange die wirtschaftlichen Verhältnisse noch einfache waren
und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen sich ohne Schwierigkeiten regelten, bedurften diese Beziehungen
keines wissenschaftlichen Studiums. Mit dem Beginn der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist das anders geworden. Als Begleiterscheinung
dieser Wirtschaftsweise treten Krisen auf. Auch die Arbeitslosigkeit ist eine ständige |290| Erscheinung in der heutigen Gesellschaft. Ebenso die täglichen, ja stündlichen Preisschwankungen, durch die der eine, ohne
einen Finger zu rühren, in kurzer Zeit Millionär, der andere ein Bettler wird. Diese Erscheinungen sind nicht durch die Natur
gegeben, sie sind nichts Unabänderliches. Durch menschliche Einrichtungen sind sie erzeugt, sie sind Menschenwerk und doch
steht ihnen die bürgerliche Gesellschaft vollkommen ratlos gegenüber, als ob es sich um unbezwingbare Elementargewalten handelte.
Wir stehen hier vor den Folgen einer anarchischen Wirtschaftsweise, die der heutigen Gesellschaft über den Kopf gewachsen
ist. Das ist der Grund, weshalb wir die Verhältnisse des Wirtschaftslebens wissenschaftlich untersuchen müssen. […] Marx hat
unser Ideal, das sozialistische Endziel, auf einen wissenschaftlichen Boden gestellt; aber er hat uns zugleich auch einen
Wegweiser gegeben, der uns auf Schritt und Tritt in den gegenwärtigen Verhältnissen des wirtschaftlichen und politischen Kampfes
zurechtweist. Das Studium der Nationalökonomie ist demnach nicht nur als die Grundlage für unser Zukunftsideal notwendig,
sondern auch zur Erkenntnis der Verhältnisse der Gegenwart. Die Nationalökonomie ist die Wissenschaft aller Wissenschaften;
sie bereitet den Boden, auf dem wir in das Land der Zukunft marschieren.« 188
Die Vorlesungen an der Parteischule ähnelten in Aufbau und inhaltlicher Problemstellung ihren Bildungsabenden. Natürlich konnte
Rosa Luxemburg in der Parteischule gründlicher argumentieren und ihre Thesen auch zur Diskussion stellen.
Die Parteischüler rühmten immer wieder Rosa Luxemburgs große pädagogische Fähigkeiten. Rosi Wolfstein erinnerte sich: »Von
der ersten Stunde an begann sie uns zu ›quälen‹ – wie sie selbst scherzend sagte –: Was ist Nationalökonomie? Volkswirtschaftslehre!
Gibt es eine Volkswirtschaft überhaupt? Ja? Worin besteht sie? Und, nachdem die Erklärung naturgemäß scheiterte: Also, was
gibt es dann? Eine Weltwirtschaft. Ist Nationalökonomie Weltwirtschaftslehre? Hat es immer eine Weltwirtschaft gegeben? Was
gab es vorher? usw. usw. bis zur letzten Stunde, wo sie uns entließ mit der eindringlichen Mahnung, nichts ohne Nachprüfung
anzunehmen …« 189
Rosa Luxemburg lehrte nie reine
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