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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Dudu, Herz, ich habe so das Gefühl, daß hier der Knotenpunkt
     Deiner inneren Entwicklung liegt und daß, wenn Du so endlich den Weg und das wirkliche Interesse |293| für das ›Kapital‹ gefunden hast, Du klar über Dich selbst und Deine Begabung wirst und dann mit Freude an die Arbeit gehen
     wirst. Denn uns beide, unsere vereinte Arbeit erwarten drei wichtige Themata: 1. Wirtschaftsgeschichte, 2. Kolonialgeschichte,
     3. Kartelle. Ich wußte schon immer und sagte Dir: Du mußt zum Marx Deinen eigenen Weg finden, und Du wirst ihn finden.« 194
    Rosa Luxemburg sprach absolut frei und in engem Kontakt zu den Hörern, denen sie untersagte, während des Unterrichts etwas
     aufzuschreiben. Sie wollte, daß die Schüler die ganze Aufmerksamkeit auf ihren Vortrag richteten. Nach dem Unterricht sollten
     sie versuchen, das Gehörte zu notieren und sich selbständig ein Urteil zu bilden. Sie legte Wert auf Ideen, Fragen und Anregungen
     und vermied schulmeisterliche Belehrungen, provozierte geradezu kritische Bedenken und Streitgespräche zur Vertiefung des
     Dargelegten. Wenn jemand lediglich das Gehörte nachplapperte, betrübte sie das sehr. »Mir wurde schrecklich zumute, als ich
     sah, wie blaß und platt sich meine Darlegungen in den Notizen der Schüler spiegeln und wie roh sie die neuerworbenen Kenntnisse
     verwenden wollen.« 195 Solche Erlebnisse vermochten unversehens ihre Freude am Lehramt zu beeinträchtigen.
    Über den Unterricht hinaus boten die Schule, die Berliner Parteiorganisationen und das Leben in Berlin weitere Bildungsmöglichkeiten
     und viel Abwechslung. Die Leitung der Schule sorgte für zusätzliche Veranstaltungen. »Durch Vermittlung Hugo Heinemanns konnten
     wir in Moabit einer Gerichtsverhandlung beiwohnen« 196 , berichtete Clara Hacker-Törber. Sie erwähnte außerdem einen Lichtbildvortrag über das Berliner Wohnungselend, eine Besichtigung
     des Baugeländes der Berliner Untergrundbahn, einen Auftritt des Berliner Arbeiterchors mit der Neunten Symphonie von Beethoven
     und Max Reinhardts Inszenierung des »König Ödipus« von Sophokles im großen Rund des Zirkus Schumann. Und wer Rosa Luxemburg
     auch einmal in ihrer Wohnung besuchte, erlebte sie als freundliche Gastgeberin und lebhafte Gesprächspartnerin, die keine
     Frage für zu heikel oder für zu nichtig befand.
    In der deutschen Sozialdemokratie gab es keine einhellige Meinung zur Parteischule. Auch einige Absolventen wurden |294| verunsichert, als Kurt Eisner, der seit dem »Vorwärts«-Konflikt 1906 mit Rosa Luxemburg in Fehde lag, meinte, Erfolg und finanzieller
     Aufwand ständen in keinem vertretbaren Verhältnis. Er plädierte für eine Dezentralisierung der Schule, die Lehrer sollten
     sich als Wanderredner aufs Reich verteilen; Massenbildung statt ›Elitezüchtung‹ sollte die Alternative sein. 197
    Max Maurenbrecher, der ursprünglich die Schule gründen und leiten wollte, diese Aufgabe aber nicht übertragen bekam und 1908
     als Lehrer in Nordbayern arbeitete, trat Kurt Eisner in der »Fränkischen Tagespost« und in der nationalsozialen Zeitschrift
     »Die Hilfe« zur Seite. Er meinte, der Unterricht in den Parteischulen habe den Arbeitern keine Theorie, sondern Entschlossenheit
     und Willenskraft beizubringen. Dazu solle man ihnen große Taten und die Schicksale starker Männer, Lassalles, Napoleons, Friedrichs
     II., Bismarcks und anderer, vorführen. In der Massenbildung dürfe nicht mit den schwierigsten Problemen angefangen werden.
    Joseph Bloch, Herausgeber und Redakteur der »Sozialistischen Monatshefte«, meldete gegen die Auswahl der Lehrer große Bedenken
     an, fürchtete die »Konservierung des Überlebten«, meinte damit wohl das Marxsche Erbe, und wandte sich dagegen, die Parteischule
     zur »geistigen Drillstätte« zu machen. 198
    Daraufhin schrieb der ehemalige Schüler Richard Schiller am 1. September 1908 im »Vorwärts«: »Manchem Heißsporn vom rechten
     Flügel wäre der Takt zu wünschen, mit dem diese ›marxistischen Priester‹ in der ›marxistischen Kirche‹ ihres Amtes gewaltet
     haben […]. Aber wären sie nun wirklich die verbissenen Dogmatiker, als die sie verschrien werden, so hätten sie ihren halbjährigen
     Einfluß nützen können und hätten trockene Regeln statt lebendiges Wissen gegeben, hätten eben den ganzen Unterricht als eine
     Drillgelegenheit für Rekruten gegen den ›gefürchteten‹ Revisionismus aufgefaßt. Nichts von alledem; weder Nervosität noch
     Absicht

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