Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
neuen und breiten Entwicklungsweg bahnte« 25 . Bemühungen polnischer Sozialisten, sich mit russischen und deutschen Klassengenossen zu verbünden, wurden durch Emigrantengruppen
in Paris und London erschwert, denen das polnische Volk für Führungsaufgaben in ganz Osteuropa prädestiniert schien, da es
zivilisatorisch reifer sei als das russische. Edward Abramowski, der »Grundsätze des Programms der Polnischen Sozialistischen
Arbeiterpartei im russischen Okkupationsgebiet« ausgearbeitet hatte, erklärte z. B. in einer Versammlung 1893 in Zürich: Je
größer das Land, desto größer der Markt, daher »Polen von der Oder bis |46| zum Dnjepr und von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer« 26 . Emigranten wie er hatten den Glauben an die revolutionären Kräfte in Rußland verloren und meinten, die polnische Arbeiterklasse
müsse zunächst einen unabhängigen polnischen Staat erkämpfen. Diese Überbetonung des Kampfes um die nationale Souveränität
lief auf eine Abkehr von der sozialen Revolution und von der Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse der Okkupationsländer,
insbesondere Rußlands, hinaus. Im November 1892 gründeten 18 Vertreter verschiedener polnischer Gruppierungen in Paris den
»Związek Zagraniczny Socjalistów Polskich« (ZZSP), den Auslandsverband polnischer Sozialisten. Er entsandte Emissäre wie den
tonangebenden Stanislaw Mendelson nach Kongreß-Polen, unter deren Einfluß sich im Frühjahr 1893 vor allem in Warschau die
Reste des ZRP und des »II. Proletariat« zur »Polska Partia Socjalistyczna« (PPS), zur Polnischen Sozialistischen Partei, zusammenschlossen.
Zahlreiche Mitglieder dieser neuen Organisation, insbesondere aus Arbeiterkreisen, bestanden darauf, auch soziale Forderungen
zu erheben. Sie lehnten die nationalistischen Losungen in Flugblättern und einer Maifeierbroschüre ab, die durch die Emissäre
des Auslandsverbandes polnischer Sozialisten (ZZSP) verbreitet wurden. Statt dessen orientierten sie sich an den Maibroschüren
Rosa Luxemburgs. Diejenigen, die für den sozialen Klassenkampf und für die Opposition gegen die Zarenherrschaft eintraten,
sprachen sich für eine Kampfgemeinschaft mit den Arbeitern der Okkupationsländer aus, grenzten sich vom Nationalismus der
PPS ab und nannten sich »Socjal-Demokracja Polska«, Sozialdemokratie Polens. Sie bildeten den Kern für die Gründung der »Socjaldemokracja
Królestwa Polskiego« SDKP, der Sozialdemokratie des Königreiches Polen.
Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, Julian Marchlewski und Adolf Warski – die Begründer der SDKP – verständigten sich über die Herausgabe
eines Presseorgans für ihre Partei, das illegal nach Polen transportiert werden mußte. Als Verantwortlicher schien Adolf Warski
am besten geeignet. Ihn kannte Rosa Luxemburg aus der Zirkeltätigkeit in Warschau; seine Frau Jadwiga war eine ehemalige Schulfreundin.
Beide lebten seit Ende 1892 in Paris, nachdem Adolf Warski gegen Kaution aus dem X. Pavillon der Warschauer Zitadelle freigelassen |47| worden war. Er bewerkstelligte, daß im Juli 1893 in Paris die erste Nummer der »Sprawa Robotnicza«, der ersten polnischen
sozialistischen Zeitung, erschien. International sofort beachtet, grenzte sie sich entschieden von der PPS und deren nationalistischen
Anschauungen ab. Am 30. Juli 1893 wurde sie von der Warschauer Versammlung, die als Gründungsdatum der SDKP in die Geschichte
eingegangen ist, als ihre Zeitung anerkannt.
Rosa Luxemburg schrieb für die »Sprawa Robotnicza« anonym oder unter dem Pseudonym R. Kruszyńska zahlreiche Artikel über die
polnische Arbeiterbewegung sowie programmatische Beiträge.
Unter den Emigranten in der Züricher polnischen Kolonie existierten ähnlich wie in Polen und in anderen Emigrationszentren
unterschiedliche Meinungen über die Lösung nationaler und sozialer Probleme im Kampf um die Befreiung vom Zarismus. Am meisten
wurde auch hier über die nationale Frage gestritten. So kam es 1893 im Saal des Vereinshauses »Eintracht« zu einem heftigen
Disput zwischen Rosa Luxemburg und W. Jodko-Narkiewicz, einem Wortführer der besonders patriotisch argumentierenden Sozialisten
und Freund von Stanislaw Mendelson. Ihre Rede sei »scharf wie ein Rasiermesser und glänzend wie Silber« gewesen, berichtete
Anatoli Lunatscharski, während Plechanow »aus politischen Erwägungen heraus eine Zwischenstellung« bezog. 27
Rosa Luxemburg fiel es nicht leicht, ihren Standpunkt zu
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