Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
ganze Welt über das alles in Kenntnis zu setzen« 35 . An Leo Jogiches schrieb Rosa Luxemburg 1895, die Schläge, die sie im Streit mit der PPS abbekomme, schmerzten sie weit weniger,
»wären wir die einzige Partei« 36 .
Auf Wiedersehen – hier in Paris!
Von der Richtigkeit ihres Standpunktes überzeugt, setzte sich Rosa Luxemburg für das Erstarken der sozialdemokratischen Bewegung
in Russisch-Polen ein. Nach ihrem Verständnis stand die SDKP und nicht die PPS in der Tradition der Partei »II. Proletariat«.
In Warschau tagte am 10. und 11. März 1894 illegal der erste |52| Parteitag der SDKP. Inhaltlich war er durch die »Sprawa Robotnicza« vorbereitet worden. Bereits im Januar 1894 hatte die Redaktion
mitgeteilt: »Auf Wunsch des Vorstandes unserer Partei ändern wir die Bezeichnung ›Organ der Sozialdemokraten des Königreichs
Polen‹ in ›Organ der Sozialdemokratie des Königreichs Polen‹. Gleichzeitig geben wir unseren Genossen bekannt, daß unsere
Zeitschrift, die bis zur Nummer 3–4 von einem aus drei Personen bestehenden Komitee geleitet wurde, von diesem Zeitpunkt an
aus praktischen Gründen der alleinigen Redaktion von Genn. R. Kruszyńska untersteht.« 37
Auch die Beschlußvorlagen für den Parteitag waren unter Rosa Luxemburgs Federführung ausgearbeitet worden. Sie mußten durch
Emissäre überbracht werden, da kein Mitglied der Redaktion wegen drohender Verhaftung nach Warschau fahren konnte. Im Mittelpunkt
der Debatten standen Programmatik und Organisationsprinzipien. Die Forderung nach Sturz des Zarismus und Errichtung einer
demokratischen Republik wurde eng mit dem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung verbunden. Zur nationalen
Problematik dominierte ebenfalls Rosa Luxemburgs Auffassung. Die Veröffentlichung des Protokolls und vieler Artikel zu den
verschiedenen Punkten der programmatischen Grundsätze waren nach Abschluß des Parteitages die wichtigsten Aufgaben der »Sprawa
Robotnicza«.
Zum ersten Mal leitete Rosa Luxemburg die Herausgabe eines Presseorgans. In den nächsten Jahren hielt sie sich mehrfach mit
und ohne Leo Jogiches längere Zeit in Paris auf. Freie Stunden nutzte sie zum Studieren in der Bibliothèque Nationale und
in der dortigen Polnischen Bibliothek.
»Bin heute um 10 angekommen«, schrieb sie am 11. März 1894 an Leo Jogiches. »Ich bin müde, aber es geht. Jetzt gehen die Jadzios
[Warskis] weg, und ich lege mich schlafen. Ein Zimmer habe ich schon – nicht schlecht und nicht weit, im 4. Stock für 30 F
(mit Bedienung). Noch heute mache ich mich an die Arbeit, wenn ich ausgeschlafen habe. […] Endlich kann ich Dir schreiben.
Jetzt ist es 11 Uhr nachts. Gerade eben bin ich von Adolfs [Warskis] zurückgekehrt […]. Eigentlich wollte ich jetzt nur an
Dich und über Dich schreiben, aber vor Müdigkeit dreht sich mir der Kopf. […] Was ich heute gemacht |53| habe? Nichts. Ich habe etwa drei Stunden geschlafen. Dann kamen zu den Adolfs [Warskis] Morek [Warszawski] und noch ein Arbeiter,
ein Pole. Ich konnte also nichts tun. Übrigens habe ich auch einen solchen Lärm im Kopf, daß ich zu nichts fähig bin. Ach,
mein Gold, wenn ich Dich jetzt hier bei mir hätte! Nun, später fuhren wir mit der Staßenbahn in den Bois de Boulogne und zurück.
Ich sah das Trocadero, den Arc de Triomphe, den Eiffelturm und die Grand Opéra. Ich bin von dem Lärm betäubt.« 38
Die Metropole Paris verwirrte Rosa Luxemburg. Romantisch veranlagt, schwärmte sie viel mehr für die bizarre Natur, die Kontraste
der Berge und Seen der Schweiz oder die beruhigende Kraft der unendlichen Felder, Wiesen und Wälder ihrer polnischen Heimat.
Ihr Zimmerchen im Faubourg St.-Denis7 fand sie für Pariser Verhältnisse recht annehmbar. Es gäbe erstaunlich viele schöne
Frauen in Paris, Leo möge ruhig in Zürich bleiben. Um Mitternacht wie zu Mittag ringsherum Geschrei und Getöse. Auch zwei
Wochen später klagte sie: Dieser »wahnsinnige Lärm und das Gedränge führen bei mir zur Ohnmacht und zur Migräne. Nach einem
Aufenthalt von einer halben Stunde im Bon Marché [großes Warenhaus] konnte ich kaum wieder auf die Straße hinausgehen.« 39 Ständig wurde sie von schrecklichem Katarrh und von Kopfschmerzen gequält. Im »miesen, lärmenden Paris« erschien ihr das
ferne Zürich mit dem Zürichberg wie ein Paradies, so still, sauber und duftend. 40
Rosa Luxemburg war in Paris nicht einsam. Hier lebten Nadina und
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