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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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weil sie nichts einbringt. Während
     mehrmals von der »glänzenden englischen Kolonialpolitik« die Rede sei, lese man nichts vom periodischen Hungertyphus der Inder,
     von der Ausrottung der Eingeborenen in Australien, von der Nilpferdpeitsche auf dem Rücken der ägyptischen Fellahs, ganz zu
     schweigen davon, daß über die innenpolitischen Zustände in Deutschland kein Wort falle.
    Rosa Luxemburg erschrak, als sie erfuhr, daß Karl Kautsky das Flugblatt geschrieben hatte. »Ein schrecklicher Reinfall«, gestand
     sie Leo Jogiches am 29. August, nachdem ihr Artikel »Unser Marokkoflugblatt« am 26. August in der »Leipziger Volkszeitung«
     erschienen war und Kautsky im »Vorwärts« in größter Emphase darauf reagiert hatte. Wahrlich eine
» schöne Bescherung
«. 165 Für Rosa Luxemburg und Leo Jogiches galt es, |387| eine neuerliche Verärgerung Kautskys zu vermeiden, schließlich hielt er neben Franz Mehring und Clara Zetkin die Hand über
     einen russischen Parteigeldfonds, solange sich die verschiedenen sozialistischen Parteien und Gruppierungen in Rußland nicht
     einigen konnten. Wäre ihr Kautskys Autorschaft bekannt gewesen, hätte sie sich wohl gehütet, sich »in eine Polemik mit einem
     Genossen zu stürzen, der mit dieser Reizbarkeit, mit dieser Flut persönlicher Heftigkeiten, Bitterkeiten und Verdächtigungen
     auf eine streng sachliche, wenn noch so scharfe Kritik antwortet, der hinter jedem Wort eine persönlich gehässige Absicht
     wittert« 166 .
    Karl Kautsky fühlte sich getroffen, »gepeitscht«, wie Rosa Luxemburg schrieb 167 , und suchte sich seinerseits durch Kritik Rosa Luxemburgs vor seinen und ihren Freunden zu rechtfertigen. »Wie Sie inzwischen
     gesehen haben«, schrieb er an Henriette Roland Holst, »bin ich in eine ähnliche Lage geraten wie Sie. Rosa Luxemburg versteht
     es ebensogut wie Ravesteyn und Wijnkop, die Marxisten zu spalten. Nur führt das bei uns nicht gleich zur Spaltung der Organisation.[…]
     Ich glaube übrigens, daß sich im internationalen Sozialismus eine Neugruppierung innerhalb der Partei vollzieht. Der Gegensatz
     zwischen Marxismus und Reformismus verliert an Schärfe. Denn die Verhältnisse machen diesen praktisch immer mehr unmöglich
     […]. Der Reformismus, der ja keine feste Theorie hat, sich von den jeweiligen Strömungen treiben läßt, wird bei der jetzigen
     Zuspitzung der ökonomischen Gegensätze (Teuerung etc.) immer mehr in der Praxis nach links getrieben. Und in der Theorie etwas
     leisten zu wollen, hat er längst aufgegeben. […] Zugleich aber erstehe innerhalb des Marxismus selbst Gegensätze zwischen
     solchen, die finden, daß es auf die bisherige Weise famos weitergeht, und solchen, die finden, es sei Parteiverrat, wenn wir
     nicht jetzt schon zum Angriff und entscheidenden Sturm übergehen. Doch sind das nur einige wenige unter uns, die letztere
     Meinung teilen. In Deutschland überwiegen unter ihnen die Ausländer – Polen und Holländer.« 168
    August Bebel war über Rosa Luxemburg auch persönlich verärgert, doch er schalt Kautsky genauso, durch dessen Verhalten sich
     die Auseinandersetzungen zuzuspitzen drohten. »Warum hast denn Du das Flugblatt dem Parteivorstand nicht kurzer |388| Hand abgelehnt? Ich wußte nicht, daß es von Dir war, und nun antwortetst Du auf die Angriffe der Rosa mit einer ganzen Kolumne,
     d. h. mit mehr, als das Flugblatt enthielt. Und wenn Dir nun die Rosa, wie ich annehme, wieder antwortet, willst Du dann abermals
     losgehen? Mach doch nur diese Dummheit nicht. Die Luxemburg ist dem Vorstand gegenüber in einem unzurechnungsfähigen Zustand;
     sie haut blind auf alles, was vom Vorstand kommt oder nicht kommt.« 169
    Damit hatte Rosa Luxemburg die einflußreichsten und ältesten Freunde gegen sich, denn – wenn auch unterschiedlich motiviert
     und akzentuiert – beiden mißfiel, daß die Genossin so unverhohlen auf Widersprüche zwischen Theorie und Praxis und immer größere
     Meinungsverschiedenheiten zwischen der Führung, bestimmten Zeitungsredaktionen und Mitgliedergruppen hinwies und an der Parteibasis
     Auseinandersetzungen anstachelte. Der Umstand, daß die Verlautbarungen des Parteivorstandes Anfang August zu einem Aufschwung
     der Antikriegsbewegung führten, schien ihr recht zu geben. Eine Kundgebung von mehr als 300   000 Berlinern am 3. September 1911 im Treptower Park, auf der unter der Losung »Gegen die Kriegshetze! Für den Völkerfrieden!«
     auf 10 Tribünen 20 Redner

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