Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Büros hinter Bebels
Kritik an ihrem Umgang mit ISB-Dokumenten stehe. Huysman versicherte, daß lediglich durch einen Übersetzungsfehler der Eindruck
entstanden sei, sie habe sich schon mehrfach Indiskretionen durch Veröffentlichung von Briefen dieses Organs der II. Internationale
zuschulden kommen lassen. 181 August Bebel und Hermann Molkenbuhr mußten zugeben, daß die Resolution des Internationalen Sozialistischen Büros in wichtigen
inhaltlichen Punkten mit dem in Jena abgelehnten Luxemburgschen Änderungsantrag korresponierte. Für die Züricher Beratung
lautete Rosa Luxemburgs Antrag in seiner ursprünglichen Form: »Das I.S.B. fordert desgleichen die sozialistischen Parteien
auf, eine Protestbewegung hervorzubringen gegen jede Erweiterung der Kolonialbesitzungen der europäischen Staaten auf dem
Wege des diplomatischen Schachers, der gegenwärtig hinter dem Rücken der Nationen und ihrer Volksvertretungen am Werke ist,
um neue Zuspitzungen der internationalen Gegensätze und neue Kriegsursachen für |393| die Zukunft zu schaffen.« 182 Lediglich über die aktive Umsetzung, über konkrete Direktiven für den Kampf um die Bewahrung des Friedens, hatte man sich
nicht einigen können. Wiederum wurde auf Drängen von französischer Seite über den Massenstreik bei Ausbruch eines Krieges
gestritten. Nach den Erinnerungen von Troelstra »kam es zu einer sehr scharfen Debatte zwischen Rosa Luxemburg, die ebenfalls
eine klare Aussage zugunsten der äußersten Mittel wollte, auf der einen und Bebel und Molkenbuhr auf der anderen Seite, wobei
der letztere die, wie sich später erwies, zutreffende Prophezeiung tat, daß die Massen, wenn der Kriegszustand erst einmal
da wäre, vollkommen mitgerissen werden und wir machtlos dastehen würden. Im gleichen Geist sprach Victor Adler …« 183
Die in Zürich erfahrene Bestätigung ihres Grundanliegens wertete Rosa Luxemburg als Erfolg, die Resolution als guten Ansatzpunkt
für entschlosseneres gemeinsames Handeln im Kampf gegen die skrupellosen Kolonialabenteuer und die immer stärker drohende
Weltkriegsgefahr.
Danach war es für sie selbstverständlich, sich aktiv am Reichstagswahlkampf zu beteiligen, auch wenn sie lieber in Ruhe an
ihren wissenschaftlichen Vorhaben über die Nationalökonomie und den Imperialismus weitergearbeitet hätte und ihr die Wahlagitation
im voraus zum Halse heraushing, wie sie Kostja Zetkin im Vertrauen gestand. »Man soll sich noch die Kehle heiser reden, damit
möglichst viele Teppe in den Reichstag hineinkommen und dort den Sozialismus zum Hohn machen.« 184
Vom 1. bis 12. Dezember 1911 sprach sie in Leipzig, Markranstädt, Halle (Saale), Eisenberg, Meuselwitz, Altenburg, Schmölln,
Plauen, Netzschkau, Ellefeld, Dresden-Pieschen und Sebnitz über »Die politische Lage und die Sozialdemokratie«. Danach trat
sie mehrmals in Berlin und Umgebung auf. Im Januar 1912 absolvierte sie eine weitere Tour, die sie nach Arnstadt, Weimar,
Eisenach, Erfurt, Jena, Ilmenau, Frankfurt (Main) und Hagen führte.
Wenn Rosa Luxemburg agitierte, vergaß sie ihre Vorbehalte. Sie putschte sich mit mehreren Aspirintabletten und vier bis fünf
Gläsern Tee auf, um frisch und mit sprühendem Redefluß vor die Versammelten treten zu können. 185 Erschöpfung ließ sie sich nie anmerken.
|394| Kostja Zetkin schilderte sie einige Erlebnisse, z. B. die eineinhalb Stunden Fahrt mit dem Pferdewagen von Meuselwitz nach
Altenburg in einer mondscheinhellen Nacht. Begeistert berichtete sie Freunden, welche Stimmung der »Sachsengängerin« entgegenschlug,
wenn sie ihre Meinung zur Partei und zur Lage im Deutschen Reich und in der Welt unterbreitete. Aus Plauen schrieb sie am
9. Dezember 1911 Franz Mehring, der noch ein Jahr zuvor Kautskys Meinung geteilt hatte, wie sehr sie sich über seinen Artikel
»Kronprinzliche Fronde« in der »Neuen Zeit« freute, in dem er wie sie die zahme Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion
in der Debatte zum Marokkoabkommen attackierte. Die stürmische Zustimmung in jeder Versammlung, wenn sie das Verhalten der
Fraktion kritisiere und für militärische Gehorsamsverweigerung eintrete, zeige, »daß die Massen viel besser sind als die parlamentarischen
Kretins, die sich für ihre Führer halten. Nächste Woche werde ich in Berlin ebenso vorgehen und zusehen, daß ich mir vielleicht
die schönsten Blitze vom ›Olymp‹ zuziehe. Das wäre mir Wonne.« 186 Sie »werde die Leute
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