Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
ich auf einer Sitzung Bebel, der
zuckersüß
war.« 149
Am 28. Juli gestalteten sich zwei Massenversammlungen, die in einem Veranstaltungsort der Berliner Hasenheide anläßlich des
Besuchs einer französischen Gewerkschaftsdelegation durchgeführt wurden, zu eindrucksvollen Friedensdemonstrationen. |383| Noch bevor Rosa Luxemburg darüber am 31. Juli in dem Artikel »Friedensdemonstrationen« berichtete, 150 bemerkte sie in einem Brief an Kostja Zetkin: »Es ist ein Skandal, den der Parteivorstand verschuldet hat, daß bei uns die
französische Arbeiterklasse nicht durch Sozialdemokraten, sondern durch Anarchisten vertreten wurde. Aber der Enthusiasmus
der Versammlung war großartig, auch der stürmische Beifall bei der Erwähnung des Generalstreiks. Rob[ert] Schmidt sprach miserabel,
feig, Molkenbuhr ›sachlich‹ und langweilig. Zum Schluß die übliche Warnung vor jeder Demonstration. Wir saßen nachher noch
bis 1 Uhr mit den Franzosen im Café, und dann brachte mich Heinemann im Auto nach Hause.« 151
Einen Tag zuvor, am 30. Juli, hatte August Bebel in Scheveningen Camille Huysmans einmal mehr erklärt, das Internationale
Sozialistische Büro brauche nichts zu unternehmen, da es nach seinen Informationen augenblicklich zu keinem Krieg kommen werde.
Die deutsch-französische Manifestation am 4. August in Paris würde vorläufig genügen. 152 Er verurteilte den Expansionsdrang und das Rüstungsstreben der herrschenden Kreise Deutschlands, glaubte jedoch, Großbritannien
könne und werde sie durch wachsende militärische Überlegenheit daran hindern, einen Krieg zu wagen.
Die Reaktion des »Vorwärts« am 4. August auf Rosa Luxemburgs Artikel »Friedensdemonstrationen« offenbarte die Art und Weise,
mit der ihre Kritik am Parteivorstand in den nächsten Monaten durch die Leitungsgremien behandelt werden sollte. Ihre Feststellungen
wurden verdreht, als unwahr hingestellt und schließlich als ungehörige Indiskretion verunglimpft. Doch sie vertrat weiterhin
konsequent ihre Meinung zur innerparteilichen Demokratie und zu Massenaktionen. Am 5. August entgegnete sie in der »Leipziger
Volkszeitung«, daß selbst die Pariser Kundgebung am 4. August auf Initiative der Gewerkschaften und nicht der Parteien zustande
kam. Und in der Stellungnahme »Die Marokkokrisis und der Parteivorstand« heißt es weiter: »Der Parteivorstand ist nur ein
gewählter Geschäftsführer der Sozialdemokratie. Sein Meinungsaustausch mit dem Internationalen Sozialistischen Büro über die
Frage, ob die Partei eine Aktion gegen die Kriegshetze unternehmen soll, ist eine Handlung, die ihrer Natur nach keine Privatangelegenheit |384| der Vorstandsmitglieder ist, in die sich die Partei nicht einzumischen hätte, sondern sie ist eine Handlung im Auftrage, im
Namen und im Interesse der Partei. Die Gesamtpartei, die Masse der Genossen also und ihr Organ, die Parteipresse, hat nicht
bloß das Recht, sondern auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich für solche Handlungen zu interessieren und sie kritisch
zu prüfen. Die von der Redaktion des Zentralorgans kundgegebene Auffassung hat nur in den Beziehungen bürgerlicher Staatsdiplomaten
zu der bürgerlichen Öffentlichkeit Platz, in sozialdemokratischen Kreisen war sie bis jetzt nicht üblich und wird es hoffentlich
nicht werden.« 153
Die abwartende Haltung des Parteivorstandes bot keinen geringen Spielraum für nationalistische Erwägungen. So beschwichtigte
Max Schippel, mit dem Rosa Luxemburg schon 1899 über inhaltliche und taktische Fragen des Antimilitarismus polemisiert hatte,
Kriegsprophezeiungen seien aus der Luft gegriffen, als friedensgefährdender Störenfried entlarve sich vielmehr nur England.
Er verwahrte sich gegen die »Räubergeschichte vom zähnefletschenden, plump gewalttätigen Balkan – oder gar Kümmeldiplomaten«
Deutschland-Österreich. 154 Timm, Hue und andere plädierten für Deutschlands ungestörten Handel, seine industrielle Entwicklung und für seine »Gleichberechtigung«
in Marokko. 155 Eduard Bernstein appellierte an Vernunft und Moral der Regierenden, ging den Ursachen der Marokkokrise nicht auf den Grund
und lenkte indirekt von den Aufgaben der Arbeiterklasse im Friedenskampf ab. 156 »Hapert es nicht weit mehr an unserem Einblick in die Mysterien der Staatskunst als an bloßem Theaterdonner?« 157 warf Max Schippel in die Debatte, um die Kritik der Linken als nutzlos zu diffamieren. Aus den Kreisen um
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