Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
werden konnten durch die Worte, wegen deren sie angeklagt und verurteilt worden ist. Wiederum ein
Fall, in dem Sie Ihre eigene Totengräberarbeit, in dem preußische |452| Richter Totengräberarbeit für die bürgerliche Gesellschaft und für den Militarismus geleistet haben. Wir dürfen der Zufriedenheit
darüber Ausdruck geben. Die Aktion der Justiz ist darauf gerichtet, die Rosa Luxemburg, ich möchte sagen, totzuhetzen. Nach
dem einen Prozeß – das Urteil wird fast sicher vom Reichsgericht aufgehoben werden müssen, weil ein recht grober formaler
Fehler stattgefunden hat – sind zwei andere Prozesse gegen sie anhängig gemacht worden; der eine, wenn ich recht unterrichtet
bin, wegen Beleidigung des Offizierskorps, und zwar wegen der Behauptung, daß die Militärmißhandlungen eine regelmäßige, symptomatische
Erscheinung des heutigen Militärsystems sei. Für diese Anklage können wir wiederum nur von Herzen dankbar sein, denn es ist
seit langem unser sehnlichster Wunsch gewesen, einmal in dem dramatischen Verlauf eines Prozesses das gesamte System der Militärmißhandlungen
aufdecken zu können (›Sehr wahr!‹ bei den Sozialdemokraten.), und das wird uns nun infolge der tiefen politischen Einsicht
unserer Justiz ermöglicht werden.« 46
Über das von Karl Liebknecht erwähnte dritte Verfahren gegen Rosa Luxemburg erhielten selbst ihre Anwälte erst nach dem 23.
Juni Auskunft. Bürgerliche Journalisten und Abgeordnete deuteten die von Rosa Luxemburg und Adolph Hoffmann auf der Generalversammlung
des Verbandes sozialdemokratischer Wahlvereine Berlins und Umgegend am 14. Juni 1914 eingebrachte Resolution als Revolutionsvorbereitung
und die Bildung von Streikfonds als Revolutionsfonds. Daraufhin beauftragte der Reichskanzler das Justizministerium, zu prüfen,
ob die Fakten für ein weiteres Verfahren gegen Rosa Luxemburg ausreichten. Den Abgeordneten Adolph Hoffmann schützte die Immunität.
Wie der Justizminister dem Reichskanzler am 23. Juni 1914 mitteilte, wurde der Erste Staatsanwalt beim Landgericht I Berlin
angewiesen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und durchzuführen. 47 Rosa Luxemburg wurde zur Vernehmung vorgeladen. »Sie wollen mich also niederhetzen mit Prozessen«, schrieb sie an Clara Zetkin,
»aber ich lasse mir die gute Laune nicht verderben.« 48 Selbst in bürgerlichen Kreisen, z. B. in der »Frankfurter Zeitung«, gab es Bedenken, Rosa Luxemburg wegen ihrer Massenstreikpropaganda |453| des »Hochverrats« zu bezichtigen, zumal die strafgesetzlichen Grundlagen dafür nicht ausreichen dürften. 49
Rosa Luxemburg schränkte ihre Aktivitäten nicht ein. Im Gegenteil, sie regte sehr energisch an, sich in den Organisationen
der deutschen Sozialdemokratie kritisch mit Bürokratismus und Formalismus auseinanderzusetzen. Es müsse überall geprüft werden,
ob die Kampfesweise noch den Herausforderungen der neuesten Zeit entspreche. Mit dem Kreisvorstand Teltow-Beeskow-Storkow
stand sie seit Juni 1914 in engstem Kontakt. In der Generalversammlung des Zentralwahlvereins für Teltow-Beeskow am 7. Juni
hatte sie folgende Resolution eingebracht: »Im Interesse der geistigen Anregung des Parteilebens in Berlin sowie entsprechend
dem demokratischen Charakter der Partei, die ihre wichtigsten Fragen und Entscheidungen den breiten Kreisen ihrer Mitgliedschaft
unterbreiten muß, ist auf die Tagesordnung jeder ordentlichen Verbandsgeneralversammlung von Groß-Berlin außer den geschäftlichen
Berichten und Wahlen die jeweilig
wichtigste politische Frage
mit entsprechendem Referat zu setzen.« 50 Diesem Antrag stimmte die Generalversammlung zu. Rosa Luxemburg wurde in die Pressekommission gewählt und als Kandidatin
für die Delegation zum Internationalen Sozialistenkongreß in Wien benannt.
Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stand die Vorbereitung auf den Prozeß wegen ihrer Äußerungen zu den Soldatenmißhandlungen.
Die Verteidiger besaßen Zeugnisse von 30 000 Soldatenmißhandlungen, als die Verhandlungen am 29. Juni begannen, einem Tag nach dem Attentat in Sarajevo, das den ersten
Weltkrieg auslöste. Bis dahin waren 922 Zeugen gewonnen worden, etwa 100 erschienen bereits am ersten Tage.
»Der Militarismus auf der Anklagebank« überschrieb die »Leipziger Volkszeitung« ihren Bericht am 30. Juni. Am 2. Juli teilte
Rosa Luxemburg Leo Jogiches mit, sie rechne am nächsten Tag mit dem Urteil. 51 Immer mehr Zeugen stellten sich zur Verfügung. Im
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