Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
warten, bis sie angekleidet sei – die Spitzel hatten sie aus dem Schlaf geschreckt – wurde geflissentlich überhört.
Der Spitzel benahm sich flegelhaft, auch wollte er die Tür zum Schlafzimmer gewaltsam öffnen, obgleich er gesehen hatte, daß
Rosa Luxemburg nur mit einem Nachthemd bekleidet war. Um mich noch schnell mit ihr zu verständigen, brachte ich ihr Wasser
und leistete ihr andere kleine Dienste. Es wurde mir nicht gestattet ans Telephon zu gehen, als es läutete. Die Backware für
den Tee mußte ich in Begleitung des anderen Spitzels holen. Nach dem Frühstück legte ich die notwendigsten Sachen in ein Köfferchen.
Da es für Rosa Luxemburg zu schwer war, durfte ich mitgehen. Wir fuhren mit der Vorortbahn bis zum Potsdamer Platz. Hier nahmen
die Beamten, die mich los sein wollten, eine Autodroschke […].« 115
Am 3. August 1916 wurde Ernst Meyer und am 15. August Franz Mehring in »Sicherheitshaft« genommen. »Wie schlecht muß es um
eine Regierung stehen«, erklärte dazu am 28. Oktober 1916 Wilhelm Dittmann im Reichstag, »wenn sie die ersten Geister des
Landes einsperrt, um ihre Opposition zu ersticken! (›Sehr wahr!‹ bei der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft.) Meine
Herren! Das ist doch der erste Gedanke, der überall, im In- und Auslande, ausgelöst werden muß, wenn eine derartige Nachricht
bekannt wird. Und wie im Falle Mehring, meine Herren, so auch im Falle der Frau Dr. Rosa Luxemburg ! Auch sie sitzt seit Monaten in Schutzhaft, ohne daß man ihr irgendeine konkrete Straftat nachzuweisen vermag. Sie ist mißliebig
ihrer Gesinnung wegen, man fürchtet |532| ihren geistigen Einfluß auf die Arbeitermassen im Sinne einer entschiedenen sozialistischen Opposition, und um diesen Einfluß
auszuschalten, hat man sie in Haft gesetzt.« 116
Die Post zu mir geht länger als nach New York
Vom 10. bis 20. Juli 1916 saß Rosa Luxemburg in »Sicherheitshaft« im Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Am 21. Juli 1916
wurde sie in das ihr wohlbekannte Frauengefängnis in der Barnimstraße überführt, mußte aber vom 22. September bis zur Einweisung
in die Festung Wronke am 26. Oktober wieder im Polizeigefängnis am Alexanderplatz ausharren, weil sie gegen eine Schikane
des Kriminalschutzmanns Palm aufbegehrt hatte. Dieser Beamte des Polizeipräsidiums hatte am 22. September während eines Besuchs
von Mathilde Jacob plötzlich die Sprechzeit für beendet erklärt und Rosa Luxemburg nicht gestattet, ihren Gedanken zu Ende
zu führen. Palm war beiden Frauen vom 9./10. Juli her in schlechter Erinnerung geblieben. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel.
Rosa Luxemburg wurde so wütend, daß sie ihn beschimpfte und einen Gegenstand nach ihm warf. Noch am selben Abend wurde sie
wegen Beamtenbeleidigung ins Polizeipräsidium abtransportiert. Wilhelm Dittmann prangerte den Umgang mit der Politikerin im
Reichstag heftig an: »Dort hat man sie dann in eine enge Zelle gesperrt, in der nur aufgegriffene Prostituierte usw. bis zur
ihrer Vorführung vor den Richter untergebracht werden. (›Hört! Hört!‹ und ›Pfui!‹ bei den Sozialdemokraten.) Die Zelle hat
nur die Hälfte des normalen Luftraums, etwa 12 – 14 Kubikmeter statt 30 bis 33. Der Frau Luxemburg sind dann Besuche in dieser
Zelle verboten worden. Die Zeitungen, die sie in der Barnimstraße bekam, hat sie dort nicht mehr bekommen, und selbst die
Besuche ihres Arztes, der sie in der Barnimstraße behandelt hatte, sind im Polizeigefängnis am Alexanderplatz verboten worden.
(›Hört! Hört!‹ bei den Sozialdemokraten.) Das Essen war absolut ungenießbar für sie, so daß sie aus der Nachbarschaft für
teures Geld Essen hat holen lassen müssen. Ihr Gesundheitszustand ist ein außerordentlich schlechter. Nur mit der äußersten
Energie hält sie sich aufrecht. |533| […] Die Zustände im Polizeigefängnis bedrohen direkt ihr Leben. (›Hört! Hört!‹ bei den Sozialdemokraten.) Sie ist kränker,
als sie je zugeben wird. Es ist dringende Gefahr im Verzuge, wenn kein Wandel geschaffen wird.« 117
Die Zelle war klein und schmutzig, das Klosett ohne Wasser. Selbst der übliche Spaziergang entfiel, weil für die weiblichen
Insassen kein Hof vorhanden war. Beleuchtung gab es keine. Nur durch eine Oberscheibe der Tür fiel vom Korridor her etwas
Licht herein. Wollte Rosa Luxemburg lesen, mußte sie stehen und das Buch in diesen Schein halten. In diesem Polizeigefängnis
schrieb Rosa
Weitere Kostenlose Bücher