Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
zurückkehren, sondern den von ihr seit Jahren geführten Streit um die Anwendung
neuer Kampfmittel und -formen forcieren. 102 Nach wie vor war sie dagegen, »den allgemeinen Austritt aus der Partei [zu] proklamieren« 103 .
Mit Karl Liebknechts Flugblatt »Auf zur Maifeier!« bereitete die Spartakusgruppe ihre erste große Massenaktion vor. »Am 1.
Mai«, hieß es darin, »rufen wir vieltausendstimmig: Fort mit dem ruchlosen Verbrechen des Völkermordes! Nieder mit seinen
verantwortlichen Machern, Hetzern und Nutznießern! Unsere Feinde sind nicht das französische, russische oder englische Volk,
das sind deutsche Junker, deutsche Kapitalisten und ihr geschäftsführender Ausschuß: die deutsche Regierung! Auf zum Kampfe
gegen diese Todfeinde jeglicher Freiheit, zum Kampfe um alles, was das Wohl und die Zukunft der Arbeitersache, der Menschheit
und der Kultur bedeutet! Schluß mit dem Kriege! Wir wollen den Frieden!« 104 Nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland fanden Maidemonstrationen für den Frieden statt, so in Braunschweig, Bremen,
Dresden, Duisburg, Jena, Kiel, Leipzig, Magdeburg, Pirna und Stuttgart. In Berlin nahmen die Sozialdemokraten um Haase und
Ledebour nicht teil, obwohl man sie um Mitwirkung gebeten hatte.
Die Atmosphäre am 1. Mai in Berlin war gespannt, das Polizeiaufgebot gewaltig. Schon um 19 Uhr waren der Potsdamer Platz und
seine Zugänge mit Schutzleuten überfüllt. Pünktlich |526| 20 Uhr sammelte sich eine dichte Menge demonstrierender Arbeiter, und alsbald begannen die üblichen Scharmützel mit der Polizei.
Insgesamt 10 000 Demonstranten waren erschienen. Da erschallte mitten auf dem Potsdamer Platz Karl Liebknechts Stimme: »Nieder mit dem
Krieg! Nieder mit der Regierung!« Ihr Echo war unüberhörbar. Karl Liebknecht wurde sofort verhaftet und in die Polizeiwache
des Potsdamer Bahnhofs gebracht. Rosa Luxemburg lief mit, kam zurück, demonstrierte weiter und ging anschließend mit Mathilde
Jacob in die Redaktion des »Vorwärts«. Sie wollten Parteifreunde bitten, Karl Liebknecht von der Polizei herauszufordern,
trafen aber niemand an, der helfen konnte. Als sie endlich Hugo Haase telephonisch erreicht hatten und sich mit ihm zum Alexanderplatz-Gefängnis
begaben, erhielten sie keine Auskunft mehr, denn es war inzwischen Mitternacht geworden. Mathilde Jacob erinnerte sich: »Müde
und erschöpft fuhren wir heim. – In der Frühe des nächsten Morgens begab sich Rosa Luxemburg zu Sonja Liebknecht, um sie von
der Verhaftung ihres Mannes in Kenntnis zu setzen. Wie immer hatte Karl Liebknecht sein Arbeitszimmer abgeschlossen. Während
beide Frauen noch beratschlagten, wie sie in das Zimmer gelangen könnten, um alles ›Kompromittierende‹ fortzuschaffen, erschienen
Kriminalbeamte. Das Zimmer wurde gewaltsam erbrochen, und man beschlagnahmte zurückgebliebene 1. Mai-Flugblätter.« 105 Rosa Luxemburg wäre um ein Haar ebenfalls gefangengenommen worden, schrieb Käte Duncker aufgeregt an ihren Mann. 106
Die Verhaftung Karl Liebknechts war ein schwerer Schlag für die Spartakusgruppe. Auf einer Zusammenkunft von etwa 15 Mitgliedern
am 4. Juni 1916, die die Polizei überwachte, sprach Otto Rühle von einem wochenlangen Scheintod. Es sei ein großer Fehler
gewesen, daß sämtliche Verbindungen allein durch Liebknecht aufrechterhalten wurden. Jetzt irrten alle umher. Um wieder Kontakte
zu den Gruppen herzustellen, wurde aus Käte Duncker, Franz Mehring, Ernst Meyer, Albert Regge und Regina Ruben ein Aktionsausschuß
gebildet, mit dessen Vorsitz Otto Rühle betraut wurde. Das wichtigste Bindeglied blieben die Spartakusbriefe, für deren Herausgabe,
Druck und Verteilung sich Leo Jogiches aufopferte.
Die Arbeit der Spartakusgruppe wurde weiter behindert, als |527| Julian Marchlewski am 22. Mai in »Sicherheitshaft« genommen wurde, Wilhelm Pieck und Hugo Eberlein den Gestellungsbefehl und
Käte Duncker Redeverbot erhielten. Paul Levi war im März 1916 mit einem Nervenschock ins Lazarett eingeliefert worden, nachdem
neben ihm im Unterstand zwei Granaten detoniert waren. Auch Clara Zetkin ging es gesundheitlich nicht gut.
Gegen die Verhaftung des unter Immunität stehenden Reichstags- und Landtagsabgeordneten Karl Liebknecht verfaßte Rosa Luxemburg
sofort anklagende und aufrüttelnde Flugblätter mit den Titeln »Hundepolitik«, »Was ist mit Liebknecht?« und »Liebknecht«.
Darin verteidigte sie das Anliegen Karl Liebknechts
Weitere Kostenlose Bücher