Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
Vom Netzwerk:
– Wir kamen überein,
     daß ich einen Kleiderschrank, Waschgeschirr und noch einige andere Dinge besorgen sollte. Wenn dann die Bilder aus Wronke
     kamen, ein kleiner Teppich, den eine Freundin gegeben hatte, der Korbsessel und vor allem die Bücher, mußte es Rosa Luxemburg
     gelingen, die Zelle, die statt des vergitterten Gucklochs oben an der Wand sogar normale Fenster hatte, wohnlich herzurichten.« 179 Mathilde Jacob organisierte, daß die sozialdemokratische Familie Schlich für sie kochte und die schwer zu besorgenden Lebensmittel
     aus der Umgebung von Breslau herangeschafft wurden.
    Anfang August 1917 hatte sich Rosa Luxemburg allmählich an ihre neue Umgebung gewöhnt. Die Aufsicht war strenger als in Wronke,
     doch eine ärztliche Betreuung konnte vereinbart werden. Sophie Liebknecht möge die Übersiedlung nicht so tragisch nehmen,
     schrieb sie, obwohl sie natürlich nun von Berlin aus schlechter zu erreichen und damit umständlicher zu besuchen sei. »Ich
     habe mich schon hier gut eingelebt, heute sind meine Kisten mit Büchern aus Wronke angekommen, bald werden also meine zwei
     Zellen hier mit den Büchern und Bildchen und dem bescheidenen Zierat, den ich sonst mit herumschleppe, wieder so anheimelnd
     und behaglich aussehen wie in Wronke, und ich werde mit doppelter Lust an die Arbeit gehen. Was mir hier fehlt, ist natürlich
     die relative Bewegungsfreiheit […]. Hier gibt es auf dem großen gepflasterten Wirtschaftshof, der nur zum Spaziergang dient,
     nichts zu ›entdecken‹, und ich hefte krampfhaft meine Blicke beim Wandeln auf die grauen Pflastersteine, um dem Anblick der
     im Hofe beschäftigten Gefangenen zu entgehen, die mir stets in ihrer diffamierenden Tracht eine Pein sind und unter denen
     sich immer ein paar finden, bei denen Alter, Geschlecht, individuelle Züge unter dem Stempel der tiefsten menschlichen Degradation
     verwischt sind, die aber gerade durch einen schmerzlichen Magnetismus immer wieder meine Blicke anziehen.« 180
    Ein neuer schwerer Rückschlag war die Nachricht, daß Hans Diefenbach am 25. Oktober 1917 gefallen war. »Ist das möglich?«
     schrie es aus ihr heraus. »Es ist mir wie ein mitten im Satz verstummtes Wort, wie ein plötzlich abgerissener Akkord, |566| den ich noch immer höre. Wir hatten tausend Pläne für die Zeit nach dem Kriege, wir wollten ›das Leben genießen‹, reisen,
     gute Bücher lesen, den Frühling bewundern wie noch nie… Ich begreife es nicht: Ist das möglich? Wie eine abgerissene und zertretene
     Blume…«. Und dennoch: »Man muß stolz bleiben und nichts zeigen.« 181 Der Schwester von Hans Diefenbach, Margarete Müller, übermittelte sie, noch immer untröstlich, ihr herzliches Beileid. Sie
     versicherte ihr, mit Hans Diefenbach habe sie ihren teuersten Freund verloren. Sie könne sich nicht an den Gedanken gewöhnen,
     daß er nun spurlos verschwunden sei. 182 Nicht einmal Luise Kautsky könne ihren schweren Verlust ganz ermessen, meinte sie. »Er war mir der teuerste Freund, der wie
     kein Zweiter jede meiner Stimmungen, jede Empfindung verstand und mitempfand. In der Musik, in der Malerei wie in der Literatur,
     die ihm wie mir Lebensluft waren, hatten wir dieselben Götter und machten wir gemeinsame Entdeckungen …« 183
    Am 24. November 1917 hatte Rosa Luxemburg offenbar die Möglichkeit, Post aus dem Gefängnis schmuggeln zu lassen. Von diesem
     Tage sind fünf ausführliche und keinesfalls zensierte Briefe an Luise Kautsky, Franz Mehring, Clara Zetkin, Sophie Liebknecht
     und Wilhelm (Helmi) Liebknecht erhalten geblieben.
    Vor allem der Brief an Sophie Liebknecht zeugt von Rosa Luxemburgs tiefem Schmerz, der sie über das Verhältnis von Mann und
     Frau und die Liebe immer wieder nachsinnen ließ: »Reden Sie mir nicht von ›hysterischen Dämchen‹, mein Vöglein. Verstehen
     Sie denn nicht, haben Sie nicht bemerkt, daß an Ihrem Übel die besten Frauen leiden? Sehen Sie die Augen der armen Marta [Rosenbaum],
     in denen so namenloses Leid liegt und so unaussprechliche Angst – Angst, daß die Schranken des Lebens schon geschlossen sind
     und das eigentliche Leben gar nicht berührt und ausgekostet ist. Die Luise [Kautsky] – als ich sie kennenlernte, war sie ein
     ganz anderer Mensch als jetzt –, robust, zufrieden, beinahe dickfellig, fertig. Seitdem hat das Leid und [der] Verkehr mit
     anderen Menschen als ihrem Mann aus ihr ein sensibles, weiches Wesen gemacht; blicken Sie in ihre Augen: wieviel Staunen,
    

Weitere Kostenlose Bücher