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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Unruhe, Tasten und Suchen und schmerzliche Enttäuschung! Und all das auch dasselbe, was |567| Sie klagen… Ich führe das alles nicht etwa an, um Ihnen den abgeschmackten Trost zu bringen, weil auch andere daran leiden,
     sollen Sie Ihr Leid vergessen. Ich weiß, für jeden Menschen, jede Kreatur ist eigenes Leben das einzige, einmalige Gut, das
     man hat, und mit jedem kleinen Flieglein, das man achtlos zerdrückt, geht die ganze Welt jedesmal unter, für das brechende
     Auge dieses Fliegleins ist alles so gut aus, als wenn der Weltuntergang alles Leben vernichtete. Nein, ich sage Ihnen von
     den anderen Frauen, gerade damit Sie Ihren Schmerz nicht unterschätzen und mißachten, damit Sie sich selbst nicht falsch verstehen
     und nicht Ihr eigenes Bild vor sich selbst verzerren. Oh, wie wohl ich Sie verstehe, wenn Ihnen jede schöne Melodie, jede
     Blume, jeder Frühlingstag, jede Mondnacht eine Sehnsucht und Lockung nach dem Schönsten ist, was die Welt zu bieten hat. Und
     wie ich verstehe, daß sie ›in die Liebe‹ verliebt sind! Mir war (oder ist?…) auch die Liebe an sich stets wichtiger und heiliger
     als der Gegenstand, der zu ihr anregt. Und zwar deshalb, weil sie erlaubt, die Welt als ein schimmerndes Märchen zu sehen,
     weil sie aus dem Menschen das Edelste und Schönste herauslockt, weil sie das Gewöhnlichste und Geringste erhebt und in Brillanten
     faßt und weil sie ermöglicht, im Rausch, in Ekstase zu leben …« 184 .
    In diesen Wochen blieb Rosa Luxemburg oft in sich gekehrt, mitunter fragte sie sich, ob sie sich selbst bewußt irreführe,
     sich »in den Gedanken hineinwiege, als lebe ich noch ein normales Menschenleben, während um mich herum eigentlich eine Weltuntergangsatmosphäre
     herrscht« 185 . Doch im nächsten Moment schrieb sie energisch: »Nur Mut, wir werden es schon weiter mit dem Leben aufnehmen, wie es auch
     kommen mag.«

Freust Du Dich über die Russen?
    Am 6. November 1917 begannen Petrograder Arbeiter, Soldaten und Matrosen unter Führung der Bolschewiki den bewaffneten Aufstand
     zum Sturz der Provisorischen Regierung unter Kerenski. In kurzer Zeit besetzten sie die wichtigsten strategischen Punkte.
     Am 7. November war die Provisorische Regierung entmachtet. Die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten und Bauerndeputierten |568| übernahmen die Macht. Der alte Staatsapparat wurde zerschlagen, und unter dem Vorsitz Lenins wurde der Rat der Volkskommissare
     gebildet.
    Am 12. November gab der Funkspruch »An Alle! An Alle!« die Bildung der Sowjetregierung bekannt sowie die Annahme des Dekrets
     über den Grund und Boden und des Dekrets über den Frieden durch den II. Gesamtrussischen Sowjetkongreß. Das Zentralkomitee
     der USPD bezeichnete noch am selben Tage in dem Aufruf »An das sozialistische Proletariat Deutschlands!« die Oktoberrevolution
     in Rußland als ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Es forderte die Arbeiter auf, Versammlungen für einen allgemeinen
     Waffenstillstand und für einen Frieden ohne Annexionen zu organisieren.
    Am 15. November berichtete der »Vorwärts« von Solidaritäts- und Friedensbekundungen. Auch Friedrich Ebert und Friedrich Stampfer
     begrüßten die Revolution, erhofften sich eine Beendigung des Krieges im Osten und die Abwendung der drohenden militärischen
     Niederlage Deutschlands.
    Rosa Luxemburg zweifelte, ob sich die sozialistische Revolution behaupten und entfalten könne. »Um die Russen bangt mein Herz«,
     teilte sie am 15. November 1917 Mathilde Wurm mit, »ich erhoffe leider keinen Sieg der Leninisten, aber immerhin – ein solcher
     Untergang ist mir doch lieber als ›Lebenbleiben für das Vaterland‹.« 186 Am 24. November schrieb sie an Luise Kautsky: »Freust Du Dich über die Russen? Natürlich werden sie sich in diesem Hexensabbath
     nicht halten können – nicht weil die Statistik eine so rückständige Entwicklung in Rußland aufweist, wie Dein gescheiter Gatte
     ausgerechnet hat, sondern weil die Sozialdemokratie in dem hochentwickelten Westen aus hundsjämmerlichen Feiglingen besteht
     und die Russen, ruhig zusehend, sich werden verbluten lassen. Aber ein solcher Untergang ist besser als ›leben bleiben für
     das Vaterland‹«, wiederholte sie, »es ist eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird. Ich erwarte
     noch viel Großes in den nächsten Jahren, nur möchte ich die Weltgeschichte nicht bloß durch das Gitter bewundern …« 187
    Rosa Luxemburgs Denken, Handeln und

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