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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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»Was
     für Abende jetzt und was für Nächte! Gestern lag ein unbeschreiblicher Zauber auf allem. Der Himmel war spät nach Sonnenuntergang
     von leuchtender Opalfarbe mit Streifen von unbestimmter Farbe verschmiert, ganz wie eine große Palette, auf der der Maler
     nach fleißiger Tagesarbeit seine Pinsel mit breiter Geste abgewischt hat, um zur Ruhe zu gehen. In der Luft lag ein bißchen
     Gewitterschwüle, eine leichte, herzbeklemmende Spannung; die Sträucher standen völlig regungslos, die Nachtigall ließ sich
     nicht hören, aber der unermüdliche Gartenspötter mit dem schwarzen Köpfchen hüpfte noch in den Ästen herum und rief schrill.
     Alles schien auf etwas zu warten. Ich stand am Fenster und wartete gleichfalls – weiß Gott, auf was. Nach ›Einschluß‹ um sechs
     habe ich ja zwischen Himmel und Erde auf nichts mehr zu warten…« 174 . Zwei Tage später, am 3. Juni, Sonntag früh, schrieb sie erneut an Sophie Liebknecht: »Wie ist es schön, wie bin ich glücklich,
     man spürt schon beinahe die Johannisstimmung – die volle, üppige Reife des Sommers und den Lebensrausch; kennen Sie die Szene
     in den Wagnerschen ›Meistersingern‹, die Volksszene, wo eine bunte Menge in die Hände klatscht: Johannistag! Johannistag!
     und alles plötzlich anfängt, einen Biedermeierwalzer zu tanzen? In diese Stimmung konnte man in diesen Tagen kommen.« 175
    Fast ein Jahr war sie inhaftiert und ein Ende nicht abzusehen. Sie hatte erfahren, daß sie von der Generalversammlung des
     sozialdemokratischen Wahlvereins für den Kreis Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg am 18. Juni mit den meisten Stimmen als
     Delegierte zur Internationalen Sozialistischen Konferenz in Stockholm gewählt worden war. Doch was hatte sie davon? Sollte
     sie Urlaub beantragen? fragte sie Mathilde Jacob zweifelnd.
    »Können Sie mir verargen, daß ich manchmal unglücklich bin, da ich das, was mir Leben und Glück bedeutet, stets nur von weitem
     sehen und hören muß?« 176 hieß es in einem Brief an Hans Diefenbach. Sie wolle den Teufeln in ihrem Innern, |564| die sie traurig und unglücklich machten, nie wieder Gehör schenken, schwor sie. Wieviel Kraft konnte sie noch aufbringen,
     um eine neuerliche Gemeinheit ihrer Gegner in der Regierung zu ertragen?
    Am Sonntag, dem 22. Juli 1917, wurde Rosa Luxemburg unerwartet aus der Festung Wronke in die Breslauer Gefängnisanstalt überführt.
     Bereits am nächsten Tag schrieb sie ein paar Zeilen an Mathilde Jacob: »Ich bin ja so abgewöhnt von Menschen und vom Trubel!
     Der erste Eindruck meiner hiesigen Behausung war so niederschmetternd, daß ich mit Mühe die Tränen zurückhielt. Der Sprung
     nach Wronke ist gar zu groß. Aber was möglich ist, um mir das Dasein hier ein bißchen zu erleichtern, wird wohl getan werden,
     daran zweifle ich nicht. Das Schlimmste ist die Frage der Verpflegung – für mich der Kardinalpunkt!« 177
    Mathilde Jacob verbrachte zu dieser Zeit ihre Ferien in Wronke und wurde Zeugin der Verlegung. »Mein Ferienidyll nahm ein
     vorzeitiges Ende; der Staatsanwalt eröffnete uns während der Sprechstunde, er hätte von der zuständigen Behörde Nachricht
     erhalten, daß Rosa Luxemburg in ein anderes Gefängnis käme.[…] Tag und Stunde der Abfahrt dürfe er allerdings nicht angeben.
     […] Jetzt hieß es eiligst packen. Mit Hilfe eines Wachhabenden und einiger Russen holte ich diejenigen Sachen aus dem Gefängnis,
     die Rosa Luxemburg nicht selbst mitnehmen wollte. Ich beschaffte Kisten für Bücher, Bilder und Geschirr. Hinzu kamen meine
     in der Umgebung gehamsterten Lebensmittel.« 178 Mit List erkundete Mathilde Jacob die Abfahrtszeit und erschien zum Abschied auf dem Bahnsteig, obgleich an diesem Tag keine
     Bahnsteigkarten ausgegeben werden durften. Tags darauf reiste sie Rosa Luxemburg mit umfangreichen Gepäck nach. Ihr erster
     Weg in Breslau führte sie zur Kommandantur, um vier Sprechstunden zu erbitten. Mit Tränen in den Augen wurde ihr Rosa Luxemburg
     vorgeführt. »›O Mathilde‹, sagte sie, ›der Umschwung ist zu schrecklich. Ich habe eine kahle Zelle. Ich darf nicht auf den
     Hof hinunter. Es gibt kein Restaurant am Platz, das meine Verpflegung übernimmt. Ich werde hier zugrunde gehen.‹ Ich hoffte
     helfen zu können. Mir schien der neue Aufenthalt nicht so trostlos. Rosa Luxemburg war nicht mehr völlig isoliert, sondern |565| im gleichen Gebäude mit anderen Gefangenen untergebracht. Der Pulsschlag des Lebens drang wieder zu ihr.

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