Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
»Wir müssen die Massen erst darin schulen«, betonte
Rosa Luxemburg, »daß der Arbeiter- |613| und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschinerie nach allen Richtungen hin sein soll, daß er jede Gewalt übernehmen muß und
sie alle in dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung leiten muß. Davon sind auch noch diejenigen Arbeitermassen,
die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organisiert sind, meilenweit entfernt, ausgenommen natürlich einzelne kleinere
Minderheiten von Proletariern, die sich ihrer Aufgabe klar bewußt sind.« 76 Das Spontane der ersten Erhebungen und der Rätebewegung subsumierte Rosa Luxemburg unter dem Begriff der politischen Revolution.
Sie räumte ein, die Partei könne die Massen jetzt nicht unmittelbar auf den Sturz der Ebert-Scheidemann-Regierung und »eine
ausgesprochen sozialistisch-proletarisch-revolutionäre Regierung« orientieren, weil »wir leider noch nicht so weit sind, um
durch den Sturz der Regierung den Sieg des Sozialismus zu sichern«. 77 Die Arbeiter- und Soldatenräte müßten den bürgerlichen Staat von unten aushöhlen und die öffentliche Macht, Gesetzgebung
und Verwaltung übernehmen. Es müsse darauf hingearbeitet werden, daß die Arbeiterräte alle Macht im Staate haben. 78 Jetzt käme es darauf an, den Einfluß der Regierung Ebert-Scheidemann durch revolutionäre wirtschaftliche Kämpfe des Proletariats
auf Schritt und Tritt zu unterminieren.
Durch die Streikbewegung, die Ende November in Deutschland ausbrach, sei die Revolution intensiviert worden. Die Streiks waren
Rosa Luxemburg zufolge die Antwort der Massen auf die gewaltige Erschütterung, die das Kapitalsverhältnis durch den Zusammenbruch
des deutschen Imperialismus und die kurze politische Revolution der Arbeiter und Soldaten erfahren habe. Ausgang dieser beginnenden
Generalauseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in Deutschland könne nur die Beseitigung des Lohnverhältnisses und die
Einführung der sozialistischen Wirtschaft sein.
Es wäre jedoch ein Wahn, den Sozialismus ohne Landwirtschaft verwirklichen zu wollen; denn die Industrie lasse sich gar nicht
umgestalten ohne die unmittelbare Verquickung mit einer sozialistisch organisierten Landwirtschaft. Das Bauerntum bliebe sonst
eine Reserve für die konterrevolutionären Kräfte. Die Partei sollte deshalb, so forderte Rosa Luxemburg, |614| »nicht bloß das Arbeiter-und-Soldatenrätesystem ausbauen, sondern auch die Landarbeiter und Kleinbauern in dieses System der
Räte einführen« 79 . Nachdrücklich mahnte sie die deutsche Arbeiterklasse angesichts der Flut antibolschewistischer Hetze, die ihr während der
Revolution entgegenschlug, nie zu vergessen, daß sie das ABC der Revolution von den Bolschewiki gelernt habe. »Von den Russen
habt Ihr’s geholt: die Arbeiter- und Soldatenräte (Zustimmung.)«. 80
Die Resolution, die sie nach ihrer Programmrede vorlegte, wurde einstimmig angenommen. Der Parteitag erklärte darin, daß die
Regierung Ebert-Scheidemann der Todfeind des deutschen Proletariats ist, da sie das Zusammengehen deutscher Truppen mit denen
baltischer Barone und englischer Imperialisten gegen die russische Revolution arrangiere. 81
Nach Rosa Luxemburgs Referat wurde vor allem über die Revolutionstaktik der Partei und über die Gestaltung der sozialistischen
Gesellschaft debattiert. Für ein Schlußwort zu diesem Tagesordnungspunkt in der Nachmittagssitzung am 31. Dezember 1918 fehlte
Rosa Luxemburg die Kraft. Ihr Referat erhielt die grundsätzliche Zustimmung des Parteitages. Alle Vorschläge und Bemerkungen
dazu wurden einer Kommission übergeben, in die 25 Delegierte gewählt wurden. Sie sollte bis zum nächsten Parteitag alle Fragen
des Parteiprogramms und die Fassung des Organisationsstatuts beraten.
Auf Antrag von 16 Delegierten beschloß der Parteitag, die Rede Rosa Luxemburgs als Agitationsbroschüre herauszugeben. Paul
Frölich und Otto Rühle beantragten, daß die Passagen, die »sich mit dem Hochverrat von August Winnig« und den Lakaiendiensten
für die Feinde der russischen Revolution beschäftigten, als Flugblatt zu verbreiten. Auch diesem Antrag stimmte der Parteitag
zu.
In der Diskussion über die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung, die am 19. Januar stattfinden sollten, gelang
es Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Paul Levi, Robert Gehrke, Käte Duncker, Fritz Heckert, Ulrich Rogg, Werner Hirsch und
Carl Minster nicht, die
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