Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
polnischen, führen.
Um sich weiter in der internationalen Debatte zu beteiligen, bot Rosa Luxemburg 1897 Joseph Bloch, dem Chefredakteur der »Sozialistischen
Monatshefte«, den Artikel »Der Sozialismus in Polen« an, der prompt erschien. 77 An Karl Kautsky übergab sie für »Die Neue Zeit« ihre Studie »Von Stufe zu Stufe«. Er veröffentlichte sie ebenfalls, fügte
dieses Mal jedoch als redaktionelle Bemerkung hinzu, nicht völlig auf dem Standpunkt der Autorin zu stehen und z. B. die Lebenskraft
der polnischen Nation höher einzuschätzen. Doch »wie immer man über den Standpunkt des Frl. Luxemburg auch denken mag, zur
Beachtung und zum Verständnis dieses Prozesses können ihre Arbeiten jedenfalls sehr viel beitragen« 78 .
Julius Wolf zollte ihr in seinem Referat über die Dissertationsschrift große Achtung: »Die Arbeit der Frl. Rosa Luxemburg
bietet eine industrielle Geschichte Polens und eine Geschichte der wirtschaftlichen Zusammenhänge von Polen und Rußland, aber
nicht als Materiallieferung, sondern als Ausgestaltung der letzten Kräfte, wirtschaftlichen, sozialen, politischen, welche
die Entwicklung bestimmen. Der Arbeit ist nachzurühmen volle Beherrschung des Gegenstandes, große Sorgfalt, großer Scharfsinn.
Sie erschließt ihr Thema, ohne je weitläufig zu werden, und legt Zeugnis ab ebenso von theoretischer Begabung, wie von praktischem
Blick. Der Stil ist etwas mangelhaft, der Standpunkt etwas einseitig. Die Verfasserin ist Socialistin und steht zu der sogenannten
materialistischen Geschichtsauffassung. Hin und wieder benützt sie Quellen der socialistischen Pamphletsliteratur. Das tut
aber der Tüchtigkeit der Leistung nicht Abbruch, welche weit darüber hinausgeht, was von einer Dissertation gefordert werden
muß.« 79
|70| Gustav Vogt hatte ebenfalls die Annahme der Dissertation befürwortet, in der interessanter Stoff mit viel Geschick dargestellt
sei. Er bemängelte jedoch, daß die letzten Abschnitte durch die Art ihrer Polemik nicht im Tone wissenschaftlicher Erörterung
gehalten seien und sich eher für Zeitschriften oder Zeitungen eigneten, und empfahl, das Deutsch vor der Drucklegung zu verbessern. 80
Rosa Luxemburg freute sich riesig über den erfolgreichen Abschluß ihres Studiums. Leo Jogiches schloß sie stolz und fest in
seine Arme.
Für die Familie Luxemburg in Warschau war das Doktorexamen der Jüngsten eine Sensation. Vater und Mutter widmeten Rosa »einen
entzückenden goldenen Ring mit einem Vergißmeinnicht aus sechs kleinen Perlen mit Amethysten in der Mitte«. In den Ring war
das Datum »1. VI. 1897« eingraviert, sie konnte ihn allerdings erst im Juli 1898 von ihrer Schwester Anna überreicht bekommen. 81
Anna hatte ihr am 4. Mai 1897 als erste aus der Familie gratuliert: »Meine einzige, liebe Rózia! Vor einer Stunde kam Dein
Brief, nur ich und Mama haben ihn gelesen (der Rest, wie Du weißt, zerstreut sich am Tage), kann ich Dir überhaupt sagen,
welchen Eindruck er machte? Mama lachte und weinte abwechselnd, sie will den Brief nicht aus der Hand geben, möchte, daß die
ganze Welt weiß, welche Freude und welcher Stolz sie erfüllt. Ich gratuliere Dir, gratuliere von ganzen Herzen, meine Teure,
Gute, und freue mich für Deinen Erfolg wie auch über Deinen Gedanken, der in einem wichtigen Augenblick Deines Lebens zu uns
fliegt und in unserer Freude Zufriedenheit schöpft. Wie gerne ich jetzt mit Dir sein möchte!« 82 Ihr Bruder Józef schrieb am 8. Mai ebenfalls, umarmte sie in Gedanken herzlich und wünschte ihr, daß sie im Leben alles so
erfolgreich regeln möge. 83 Tags darauf berichtete Anna, wie begeistert der Familie von allen Seiten gratuliert werde – als ob eine Verlobung stattgefunden
hätte. »Jeden Tag, bevor Tatko [Väterchen] in die Stadt geht, findet dieselbe Beratung statt: Soll Dein Brief mit dieser Bekanntgabe
im Hause bleiben oder zusammen mit Tatko in der Manteltasche hinauswandern. Und wenn noch jemand kommt, muß man ja [etwas]
vorzeigen […], und da muß Tatko [ihn] ›gerade jetzt‹ wieder einem seiner Bekannten in der |71| Stadt vorlesen. Schade, daß Du diese Auseinandersetzungen nicht selbst hören kannst.« 84 Die Mutter legte diesem Brief für ihre Rosa 5 Rubel für Leckereien bei. Die Französischlehrerin ließ ebenfalls herzlich grüßen,
schließlich hatte dieser »kleine Dr.« die ersten französischen Worte bei ihr gelernt.
Alle Briefe von zu Hause stimmten Rosa
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