Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
wußten, natürlich
außer Józio, der selbst dreimal täglich kam, häufig Kollegen und Professoren mitbrachte und nächtigte. Es gab Tage, daß es
uns schien, es sei besser, aber Józio sagte nichts, und die letzten paar Tage wurde sie nur künstlich [am Leben] erhalten.
Während der Krankheit besuchte [uns] ständig die ganze Familie. Das Mitgefühl der Familie und der guten Bekannten war außerordentlich,
wie es sich nur Mamunia durch ihre Milde erwerben konnte. Wenn sie gute Tage hatte, unterhielt sie sich sanft und erzählte
dann immer von Dir.« 89
Doch was sollte nun werden? War das Leben in der Schweiz nach Abschluß des Studiums noch interessant genug? Keineswegs – Rosa
Luxemburg wollte mit dem studentischen Vagabundenleben aufhören. 90 Vater und Geschwister wünschten, sie käme mehr in ihre Nähe, zöge vielleicht nach Wien, Berlin oder gar Krakau, damit sie
sie leichter und mit geringerem finanziellen Aufwand besuchen konnten.
Rosa Luxemburg zog es nach Deutschland, denn sie wollte dort tätig werden, wo sie sich für ihre Ziele voll entfalten konnte.
Das war nach ihrer Überzeugung nur in einer gut organisierten politischen Massenbewegung möglich, wie sie die deutsche Sozialdemokratie
als international anerkannte Arbeiterpartei darstellte. Vor allem hatten in dieser Partei die Befreiungsideen von Karl Marx
Eingang gefunden. Einige größere Abhandlungen Rosa Luxemburgs zur polnischen Frage waren in Deutschland publiziert worden.
Mit Joseph Bloch von den »Sozialistischen Monatsheften« sowie mit Karl Kautsky von der »Neuen Zeit« stand sie1896/97 im Briefwechsel.
Als sie das Oktoberheft der »Sozialistischen Monatshefte« in Händen hielt, entschloß sie sich, Bloch auf die voraussichtlichen
Folgen vorzubereiten: »Apropos, Sie müssen sich darauf gefaßt machen, daß einige polnische Nationalisten aus London über meinen
Artikel Lärm schlagen und Sie mit Repliken bestürmen werden; diese Geschichte wiederholt sich wenigstens nach jedem meiner
Artikel, sei es über Armenien, Polen oder das xbeliebige Thema. Die Wahrheit einzugestehen, möchte ich den Herren nicht einmal
durch eine Polemik einen Dienst erweisen […]. Dies um so mehr, als die Polemik mit Nationalisten |74| […] stets auf das Niveau mikroskopischer innerer Parteistreitigkeiten herabgezerrt wird, die für den deutschen Leser von geringstem
Interesse sind.« 91
Wenn Rosa Luxemburg ihre Position polemisch verteidigen konnte, war sie in ihrem Element. Das hatte sie schon Ende des vergangenen
Jahres im Streit mit Wilhelm Liebknecht über die nationalen Kämpfe in der Türkei und die Orientpolitik des »Vorwärts« bewiesen.
Sie war nicht bereit, sich als Disputierende aus dem Streit über die orientalische Frage zurückzuziehen und ausschließlich
auf »das Gebiet der ›polnischen Greuel‹« 92 verbannen zu lassen; auch nicht von einer solchen Autorität wie Wilhelm Liebknecht. Sie warf ihm vor, die Veränderungen in
Rußland und in der Türkei und in den Beziehungen zwischen den beiden Reichen sowie die Folgen des Abfalls von Rumänien, Serbien,
Bulgarien, Bosnien und der Herzegowina von der Türkei übersehen zu haben. Seine Auffassungen seien daher total veraltet.
Das zwiespältige Echo auf ihre polemischen Artikel signalisierte, auch in der deutschen Sozialdemokratie werde sie Richtungskämpfe
und Auseinandersetzungen über Meinungsverschiedenheiten antreffen. Diese Aussicht stimulierte Rosa Luxemburg zusätzlich, nach
Deutschland zu gehen, denn sie liebte Wortgefechte und Pressefehden.
In Deutschland lebten außerdem viele ihrer Landsleute, die sie für den politischen und sozialen Befreiungskampf gewinnen wollte.
Ihre Freunde Adolf und Jadwiga Warski waren aus Paris nach München gezogen, nachdem Ende 1896 die »Sprawa Robotnicza« eingestellt
werden mußte. Julian Marchlewski und seine Frau Bronislawa lebten seit 1896 gleichfalls in München, und Alexander Helphand
(Parvus) hatte sich bereits 1891 in Deutschland niedergelassen. Von ihnen allen besaß sie Berichte über die Lebensbedingungen
und die Eindrücke in diesem Land und die Zusage, ihr, wenn nötig, behilflich zu sein.
Ohne die Staatsbürgerschaft eines deutschen Bundesstaates aber wollte Rosa Luxemburg den Ortswechsel nicht vornehmen, damit
sie nicht ständig Gefahr laufe, als »lästige Ausländerin« des Landes verwiesen oder gar nach Rußland ausgeliefert zu werden.
Olympia Lübeck wußte Rat. Am 23.
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