Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
November |75| 1897 unterschrieb sie folgende Zeilen: »Ich, Unterzeichnete, ertheile hiermit meinem Sohne Gustav Lübeck, geb. d. 1. Dezember
1873 in der Gemeinde Fluntern, St. Zürich die Erlaubnis, sich mit Fräulein Rosa Luxemburg von Zamost, Rußland, zu verheirathen.« 93 Am 19. April 1898 schloß Rosa Luxemburg mit Gustav Lübeck in Basel die Ehe, die als Scheinehe gedacht war und nach vielem
behördlichen Hin und Her am 4. April 1903 geschieden wurde. Damit erhielt Rosa Luxemburg neben ihrer russischen Staatsbürgerschaft
die preußische. Allerdings mußte sie am 24. April 1898 das Zivilstandsamt von Basel noch einmal darum bitten, im Trauschein
die Bewilligung des Regierungspräsidenten in Preußen zur Ehe ausdrücklich zu erwähnen, weil es darauf ankäme, »bei event.
Ankunft in Berlin mit der preußischen Polizei von vornherein gut in Ordnung zu sein« 94 .
Für ihre neue Wahlheimat entschied sich Rosa Luxemburg als junge Frau von 27 Jahren, die sich von 1889 bis 1897/98 durch gründliches
Studium und reges politisches Engagement zu einer gebildeten, kritischen und im Disput geübten Marxistin entwickelt hatte.
Sie hatte bereits ein polnisches Blatt geleitet und sich in der polnischen wie internationalen sozialdemokratischen Presse
ausgewiesen. Als Mitbegründerin und theoretisch tonangebende Vertreterin der Sozialdemokratie des Königreichs Polen war sie
zweimal auf internationalen Kongressen in Erscheinung getreten und hatte Bekanntschaft geschlossen mit vielen Sozialdemokraten
oder Sozialisten in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland, England und Rußland. Sie war eine in Politik und Wissenschaft
aufmerksam beobachtete und geachtete Frau, die sich gegen Häme und Haß ihrer Widersacher klar zu behaupten verstand.
Einen festen Halt gab ihr die Partnerschaft mit Leo Jogiches, der sie unbändig liebte und nicht selten als der weiter und
schärfer Blickende wie ein theoretisches und praktisches Gewissen für sie war. Mitunter wurde dies ihr lästig, führte zu kleinen
Reibereien, letztendlich aber forderte sie die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit ihm zu ungewöhnlichen Leistungen heraus.
Leo Jogiches wurde von ihrer späteren engsten Freundin Clara Zetkin als »eine jener heute noch sehr seltenen großen Mannespersönlichkeiten«
charakterisiert, »die |76| neben sich in treuer, beglückender Kameradschaft eine große Weibespersönlichkeit ertragen können, ohne deren Wachsen und Werden
als eine Fessel und Beeinträchtigung des eigenen Ichs zu empfinden; ein Revolutionär im edelsten Sinne des Wortes« 95 – wie Rosa Luxemburg selbst eine kühne Revolutionärin war, ohne Widerspruch zwischen Bekenntnis und Tat.
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|77| ENTSCHEIDUNG
1898/1899
Möchte mich, zum Teufel, ein wenig der Öffentlichkeit zeigen
Am 12. Mai 1898 verabschiedete sich Rosa Luxemburg in Winterthur von Leo Jogiches. Er wollte erst sein Studium an der Züricher
Universität abschließen, bevor er ihr folgte. Sein trauriger Anblick bei Abfahrt des Zuges schmerzte sie. Zu trösten versuchte
sie sich damit, daß er jetzt erst einmal von der Hektik und vom Trubel ihrer Reisevorbereitungen befreit war und Ruhe wie
Einsamkeit genießen könnte. Sie dagegen war auf all das Neue gespannt, was auf sie einstürmen würde, und vor Aufregung ganz
erschöpft.
Zunächst versuchte Rosa Luxemburg in München bei der Familie Warski von den Ereignissen der letzten Tage etwas Abstand zu
gewinnen, einige Angelegenheiten für die polnische Partei ins rechte Lot zu bringen und eine starke Erkältung auszukurieren.
Warskis nahmen sie in ihr vertrautes Familienleben auf, pflegten sie und schenkten ihr wertvolle Bücher (Mehring, Mickiewicz
und Webb) und ein kleines Landschaftsgemälde in Öl.
Noch aus München fragte Rosa ihren Leo, ob sie ihm schon ein bißchen fehle. Schließlich war sie aus Zürich auch weggegangen,
um ihren Geliebten, der »treu und beständig wie ein Fels, aber ebenso hart und unzugänglich wie dieser« 1 war und sie in ihrer Lebenslust zu zügeln schien, die Entbehrungen einer längeren Trennung spüren zu lassen. Sie wollte ihm
fehlen und ihn motivieren, über sein »steinernes Herz« und eine gewisse Spröde in ihrer Liebesbeziehung nachzudenken. 2 Das Gefühl wachsender Disharmonie hinterließ, wie Rosa Luxemburg mehrfach betonte, auf ihrer Seele überall blaue Flecken,
die die »Woge des Lebens« in Berlin zum Verblassen bringen sollte. 3 Sie ahnte nicht, daß
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