Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
die angebotene Hand von Karl Kautsky und August Bebel ergreifen. Das Eisen müsse man schmieden, solange es
heiß ist. Die ganze »Linke« könne auf diese Weise beschnuppert werden. 115 Das sei auch für die polnische Frage günstig und wichtig. Nun, da Karl Kautsky sie umwerbe, könne er ihr nicht mehr ohne
weiteres wie früher in der Polemik gegen den Sozialpatriotismus in der PPS auf die Finger klopfen. 116 Darauf hatte sie wochenlang hingearbeitet. Sie bezeichnete es als ihre »ganz große Diplomatie« 117 , z. B. an Stelle von Wilhelm Liebknecht am 9. Februar 1899 in Berlin-Charlottenburg über den jetzigen Kurs der Regierung
und die Sozialdemokratie referiert zu haben, wo viele Russen und zahlreiche Polen anwesend waren.
Die vielseitigen Kontakte zu Russen und Polen verloren bei Rosa Luxemburg trotz des zeitweilig größeren Engagements in der
deutschen Partei nie an Gewicht, denn die sozialistische Bewegung sollte auch in diesen Ländern vorankommen. Gierig griff
sie nach jedem neuen russischen Presseerzeugnis, organisierte sich Abonnements und Bücher, war darauf bedacht, daß ihr Name
bei den Sozialdemokraten in Rußland mit der Bernsteindiskussion verknüpft wurde und sie in Deutschland über die russische
Bewegung informieren konnte, auch wenn ihr manche Gruppe oder Person in der russischen wie polnischen genauso wie in der deutschen
Bewegung mißfiel. Schließlich |117| müsse man sich immer wieder sagen, es habe keinen Sinn, alles zu kritisieren, ohne es selbst besser zu machen. 118
Obwohl Rosa Luxemburg viele Handlungen darauf anlegte, die Bewegung zu fördern und persönlich zu brillieren, irritierte sie
gelegentlich das große Echo ihrer Artikel. »Wie elend ist es um diese Partei bestellt, wenn so ein Pfuscher und Anfänger wie
ich eine Rolle in ihr spielen kann.« 119 Nach dem ersten Besuch bei Kautsky weidete sie sich an dessen Lob über ihre Artikel. Sie fühlte sich bestärkt, seine Attacken
gegen Schippel in der »Neuen Zeit« mit weiteren Beiträgen in der »Leipziger Volkszeitung« zu unterstützen. Des weiteren berichtete
sie Leo Jogiches, daß Kautsky meine, Bebel habe für Auftritte gegen Revisionisten »die Lust verloren […], kein Selbstvertrauen
und kein Feuer […]. Als ich wieder über ihn herzog:
› Warum geben Sie ihm nicht Mut und Ansporn und Energie?! ‹
Dann hieß es erneut:
›Tun Sie’s
(das bin also ich!),
gehen Sie zu ihm, reden Sie mit ihm . ‹«
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Ein paar Tage später, am 11. März 1899, besuchte Rosa Luxemburg August Bebel. Er fand ihre Artikel ebenfalls brillant und
unterstützte ihre Forderungen. Sein zaghaftes Verhalten mißfiel ihr jedoch. Sie riet ihm »zu drei Dingen: 1. einem Artikel
im ›Vorwärts‹, 2. einem offiziellen Auftreten der Fraktion, 3. einer Versammlung. Er wand sich wie ein Aal, und nach vielerlei
anderen Motiven quetschte ich den eigentlichen Grund aus ihm heraus:
›Ach was, jetzt anfangen mit den Versammlungen, wo ich mitten im parlamentarischen Kampf stecke, da wird es ja Krach geben,
ja wohin würde das führen, wo hat man Zeit und Kopf dazu etc.‹
Ins Polnische übersetzt: Laßt mich alten Opa um Gottes willen in Ruhe.« 121
Die Begegnungen mit Karl Kautsky und August Bebel nahmen nun teilweise freundschaftlich-familiäre Vertrautheit an. Darüber
war sie froh, aber wenn sie schlecht gelaunt war oder sich über etwas ärgerte, fällte sie überspitzt kritische Urteile: »Jede
Annäherung an die Parteibande hinterläßt in mir ein derartiges Unbehagen, daß ich mir jedesmal danach vornehme:
drei Seemeilen weit vom tiefsten Stand der Ebbe!
… Nach jedem Zusammensein mit ihnen wittere ich soviel Schmutz, sehe soviel Charakterschwäche, Erbärmlichkeit etc., daß ich
zurückeile in mein Mauseloch.« 122
|118| Durch ihren engen Kontakt zu beiden erweiterte sich Rosa Luxemburgs Bekanntenkreis beträchtlich. Sie begegnete bei ihnen u.
a. Franz Mehring, Arthur Stadthagen, Fritz Zubeil, Hugo Heimann, Eugen Dietzgen, Paul Singer, Georg Ledebour, Johann H. W.
Dietz, Natalie Liebknecht, Alice Geiser, Heinrich und Lily Braun, Heinrich Cunow.
Ihren Geburtstag verbrachte Rosa Luxemburg am 5. März 1899 in einem Freudentaumel. Sie erhielt viele Gratulationen und Geschenke
und hatte endlich das Gefühl, nicht mehr allein und fremd zu sein. »Was ist los in diesem Jahr, es ergießt sich über mich
wie aus einem Füllhorn? Stelle Dir vor, ich bekam von den Schoenlanks: vierzehn Bände Goethe
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