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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Hinweise zu Schippel entsprachen wortwörtlich dem, was ich mir schon vorher vorgenommen hatte«, schrieb sie an Leo Jogiches.
     »Zwischen Schippels Militarismus und dem Opportunismus im allgemeinen eine Verbindung herzustellen und die Konsequenzen aufzudecken,
     das war mein erster Gedanke. Ob und wieweit ich das gut gemacht habe, wirst Du selbst beurteilen, denn ich bin so müde, daß
     ich überhaupt keines Eindrucks über mein eigenes Schreiben fähig bin.« 108
    In der Artikelfolge »Miliz und Militarismus«, die am 20., 21., 22., 25. und 26. Februar 1899 in der »Leipziger Volkszeitung«
     erschien, kritisierte sie, wie Schippel mit kriegstechnischen, sozialen und wirtschaftlichen Argumenten die stehenden Heere
     als unentbehrlich und die Milizforderung als absurd hinstellte. Schippels Meinung von der angeblichen ökonomischen Entlastung
     der Gesellschaft durch den Militarismus gebe sozialdemokratische Positionen preis und korrespondiere mit dem Standpunkt der
     herrschenden Klassen und der Regierung. Der Militarismus sei heute für die Kapitalistenklasse »in dreifacher Beziehung unentbehrlich
     geworden: erstens als Kampfmittel für konkurrierende ›nationale‹ Interessen gegen andere |115| nationale Gruppen, zweitens als wichtigste Anlageart ebenso für das finanzielle wie für das industrielle Kapital und drittens
     als Werkzeug der Klassenherrschaft im Inlande gegenüber dem arbeitenden Volke« 109 .
    Ein Vergleich mit Bernstein drängte sich ihr auf: »Wie bei Bernstein die kapitalistische Wirtschaft von selbst, ohne Sprung,
     schrittweise in die sozialistische ›hineinwächst‹, so wächst bei Schippel aus dem heutigen Militarismus von selbst das Volksheer
     heraus. Wie Bernstein in bezug auf den Kapitalismus im ganzen, so versteht Schippel in bezug auf den Militarismus nicht, daß
     die objektive Entwicklung uns bloß
die Bedingungen
einer höheren Entwicklungsstufe an die Hand gibt, daß aber ohne unser
zielbewußtes Eingreifen
, ohne den
politischen Kampf
der Arbeiterklasse um die sozialistische Umwälzung oder um die Miliz weder die eine noch die andere je verwirklicht wird.
     Da aber somit das bequeme ›Hineinwachsen‹ bloß eine Chimäre, eine opportunistische Ausflucht ist, um dem zielsicheren revolutionären
     Kampfe aus dem Wege zu gehen, so schrumpft auch die auf
diesem
Wege erreichbare soziale und politische Umwälzung auf elendes bürgerliches Flickwerk zusammen.« 110
    Antimilitaristische Inkonsequenz gegenüber dem bestehenden Staat müsse letztendlich zur Verleugnung des politischen Kampfes
     der Sozialdemokratie führen. Rosa Luxemburg forderte Gegenaktionen in der Parteipresse und in Parteiversammlungen. Auch auf
     dem nächsten Parteitag solle der Fall Schippel erörtert werden. Nur Diskussionen in weiten Kreisen der Partei könnten der
     Verbreitung Schippelscher Ansichten vorbeugen. Das maßgebende Wort habe die sozialdemokratische Reichstagsfraktion zu sprechen,
     da es um einen Abgeordneten und um einen Hauptpunkt der parlamentarischen Opposition der Sozialdemokratie ginge. 111
    Rosa Luxemburgs Artikelfolge fand unter den Reichstagsabgeordneten und in der Partei Beachtung und Zustimmung. In Berliner
     Parteilokalen tauchte plötzlich die »Leipziger Volkszeitung« auf. Die »Sächsische Arbeiter-Zeitung« und andere sozialdemokratische
     Presseorgane druckten Auszüge nach. Auch die bürgerliche Presse beobachtete »die bekannte Krakeelerin der Partei« aufmerksam. 112 Als Karl Kautsky ihr versicherte, er |116| habe sich über ihre trefflichen Artikel gefreut, und sie bat, seine Familie öfter zu besuchen, war Rosa Luxemburg angenehm
     überrascht. Sie empfand es als große Auszeichnung, daß er ihr am 3. März 1899 schrieb: »Wir Marxisten sind in Deutschland
     leider nicht so zahlreich, daß wir in der jetzigen Krise nicht alle Ursache hätten, uns enger aneinanderzuschließen.« 113
    Damit war sie jetzt in den Kreis theoretisch geschätzter Gesprächs- und Streitpartner auf der oberen Ebene der Partei aufgenommen.
     Eigentlich wollte sie zu Karl Kautsky nicht mit leeren Händen gehen. Doch sie fühlte sich tagelang außerstande, einen neuen
     Artikel zu Papier zu bringen. Verzweifelt stellte sie fest: Von den Militarismus-Artikeln gegen Schippel »so erschöpft zu
     sein, das ist schon etwas mehr, als die Polizei erlaubt« 114 . Aber sie könne jetzt nicht von Ferien träumen, wie es Jogiches wünschte, weil sie so abgespannt war, sondern müsse auf dem
     Kampfplatz sein,

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