Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
wie rasch kolportiert
wurde, wenn sie z. B. mit Schoenlank, elegant gekleidet und gut gelaunt, im Theater gesehen worden war. Nichts Weibliches
war ihr fremd. Sie hörte solchen Parteiklatsch selbst gern und übermittelte ihn Jogiches postwendend. Das Neueste wäre z.
B., daß sich Franz Mehring und Bruno Schoenlank wieder einmal überworfen hätten. Kautsky und Bebel hätten bei ihr nachgefragt,
ob sie nicht helfen könnte, Mehring für die Mitarbeit in der »Leipziger Volkszeitung« zurückzugewinnen. Angesichts dieser
unerquicklichen Misere sei sie »auf jeden Fall der einzige Pfeiler des Radikalismus in der ›Leipziger Volkszeitung‹« 104 , triumphierte sie. Rosa Luxemburg übertrieb gern, wenn sie verdeutlichen wollte, daß sie sich als eine revolutionäre Sozialdemokratin
aus dem linken Flügel der Partei verstand, der im Gefecht mit den zunehmenden sozialreformerischen Bestrebungen für eine zielbewußte
und kämpferische Oppositionspolitik eintrat und von Vertretern |113| des rechten Flügels eines unrealistischen Radikalismus bezichtigt wurde. Nannten sich Sozialdemokraten wie Rosa Luxemburg
selbst hin und wieder radikal, dann meinten sie das im Sinne von konsequent und kreativ auf der Grundlage des Parteiprogramms
und der Parteibeschlüsse.
Als besonderen Gewinn betrachtete Rosa Luxemburg ihre Begegnung mit Clara Zetkin, die absichtlich einen Tag länger in Berlin
geblieben war, um mit ihr und Schoenlank einige Stunden zu verbringen. »Dabei gab es viel Geschimpfe über die ›Alten‹. Klara
ist so radikal, wie sie war, es gab noch mehr Klatsch (z. B. über Lily Braun, die Klara Gruben gräbt) etc. Ich habe natürlich
an dem Klatsch nur passiv teilgenommen, aktiv dagegen nur am politischen Teil. Ich werde jetzt mit Klara korrespondieren,
worüber ich mich sehr freue. Sie ist so anständig und liebenswürdig, wie immer bemühte sie sich, Sch[oenlanks] Radikalismus
zu stärken und zu festigen, zu diesem Zweck machte sie ihm Komplimente, daß er mit den Augen blinzelte wie ein Kater, wenn
man ihn streichelt. Letzten Endes aber freue ich mich über das Treffen.« 105
Zwischen den sehr verschiedenen Frauen Rosa Luxemburg und Clara Zetkin entfaltete sich eine enge Freundschaft. Nach den ersten
Begegnungen hatte Rosa Luxemburg an Clara Zetkin manches auszusetzen: Sie plapperte ihr zuweilen sehr viel, vertrat einerseits
sehr radikale Ansichten und andererseits zuwenig eine eigene Meinung. 106 Aber schon bald war sie vom journalistischen Geschick, der großen Sprachbegabung und dem rastlosen Tätigsein der vierzehn
Jahre Älteren beeindruckt. Clara Zetkin hatte 1891 in Stuttgart die sozialdemokratische Frauenzeitschrift »Die Gleichheit«
begründet, die sie seitdem redigierte, und sie war Mitglied der Kontrollkommission der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Sie kämpfte unermüdlich für die Gleichberechtigung der Frauen. Sowohl in Deutschland als auch im Rahmen der II. Internationale
setzte sie sich mit Entschiedenheit für eine selbstbestimmte proletarische Frauenbewegung ein, doch im Ringen um das Frauenwahlrecht
scheute die Sozialdemokratin vor der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nicht zurück. Clara Zetkin, im politischen
wie im privaten Leben reich an Erfahrungen, wurde für Rosa Luxemburg zu einer wichtigen Informantin |114| über das Parteigeschehen, zu einer vertrauensvollen Ratgeberin in komplizierten Lebenslagen.
In der gesamten Partei erregte Rosa Luxemburg besonderes Aufsehen durch ihre Polemik gegen den Reichstagsabgeordneten Max
Schippel. Der Mitarbeiter der »Sozialistischen Monatshefte« traf die Partei an ihrem empfindlichsten Nerv, als er den traditionellen
antimilitaristischen Kampf in Frage stellte. Sein im November 1898 erschienener Artikel »War Friedrich Engels milizgläubisch?«
war ein Plädoyer für »die Erweiterung und Fortbildung der Grundlagen des heutigen Armeesystems« 107 .
Karl Kautsky widerlegte Schippels Behauptungen in der »Neuen Zeit« und druckte dessen Erwiderung im Januar 1899 in seiner
Zeitschrift ab. Auch die Reichstagsfraktion beschäftigte sich mit dem »Isegrimm«-Schippel. Rosa Luxemburg schlug die Veröffentlichung
der Fraktionsprotokolle vor, damit die Auseinandersetzung konkret und unter Beteiligung vieler Sozialdemokraten geführt werden
konnte. Es beunruhigte sie zutiefst, daß sich in der Partei nicht sofort viele Stimmen gegen Schippel erhoben. »Deine allgemeinen
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