Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
ihre Ideen und Erlebnisse korrespondierte sie rege mit Leo. Bruno Schoenlank bestellte bei
ihr Artikel für die »Leipziger Volkszeitung« über vielerlei Themen, u. a. auch über Adam Mickiewicz. An diesen Auftrag machte
sie sich sofort mit Begeisterung, mußte allerdings bei Jogiches dafür um Verständnis bitten, weil er befürchtete, sie könnte
sich durch ihre engen Beziehungen nach Leipzig und durch ihr häufiges Artikelschreiben von wichtigeren Dingen ablenken lassen.
Rosa Luxemburg lebte, wie sie meinte, wieder einmal außerordentlich regelmäßig. Ihr Befinden verbesserte sich mit jeder gelungenen
journalistischen Arbeit, die sich auch in ihrer finanziellen Bilanz niederschlug. Stolz berichtete sie Leo am 30. Dezember
1898, daß sie bei der »Sächsischen Arbeiter-Zeitung« 80 M und bei der »Leipziger Volkszeitung« 60M verdient habe. Nach ihrer
detaillierten Bilanz blieben ihr für |111| Januar 100 M. »Wie Du siehst«, schrieb sie zufrieden, »sogar zuviel. Wenn nicht die Extraausgaben für die Feiertage gewesen
wären, so hätte ich schon etwa 25 M zurückgelegt, ich hoffe, im nächsten Monat.« 99 Und als Jogiches ihren Mickiewicz-Artikel lobte, freute sie sich riesig und schrieb gelöst: »Aber es ist eine merkwürdige
Sache! Ich b a t Schoen[lank], Sprache und Stil sorgfältig durchzusehen, und er schrieb mir, er sei
› stolz auf die Stilistin Rosa
‹ und entzückt über die Form. Und Du findest immer zehn Böcke. Bedenke noch dazu, daß ich das gleich ins reine an einem Tag
geschrieben habe und kaum Zeit hatte zum Durchlesen! Weißt Du, daß ich jetzt überhaupt alles (die
Rundschau
, den Artikel über Amerika) sofort ins reine schreibe, ich schreibe nichts um! Das ist doch auch schon ein Fortschritt, nicht
wahr?« 100
Indes lernte sie auch die Schikanen kennen, denen Sozialdemokraten in Deutschland ausgesetzt waren. Im Dezember 1898 wurde
Rosa Luxemburg von zwei Spitzeln auf Schritt und Tritt verfolgt, die Tag und Nacht beim Portier saßen. Sie ging zur Polizei
und drohte mit einem öffentlichen Skandal, worauf die Herren tags darauf verschwanden. Wenn sie auch eine Personenverwechselung
annahm, so traf sie doch Sicherheitsvorkehrungen, verbrannte Briefe und sah ihre Papiere durch. 101
Ein aufregendes Jahr ging zu Ende, ihre Gedanken wanderten zu Leo nach Zürich: »Wenigstens noch ein kurzes Briefchen an Dich
am letzten Tag des alten Jahres. Den Silvester werde ich natürlich ebenso einsam wie Du verbringen. Aber auf mich wirkt das
nicht besonders, irgendwie berühren mich all die ›Feiertage‹ und Festlichkeiten gar nicht. Der Mensch ist offensichtlich heidnisch
geworden und verwildert durch die vielen Jahre dieses studentischen Vagabundenlebens im Ausland. […] Ich möchte Dir noch so
viel schreiben, mein Bobiuchno, aber mir ist heute viel Zeit für das Aufräumen draufgegangen und gestern für die Neujahrsbriefe
(acht!), also eile ich an die Arbeit. Einstweilen umarme ich Dich und küsse Dich hunderttausendmal auf die Nase und das Bussi.« 102 Als sie am Neujahrstag jedoch zum ersten Mal außer einigen Worten von Warskis keine Glückwünsche erhielt, war sie traurig
und bedrückt. 103
|112| Es ist schrecklich, wie die Arbeit in diesen
Tagen über mich hereinbricht
Das neue Jahr ließ sich für Rosa Luxemburg zunächst nicht gut an. Ein entzündeter Fuß bereitete ihr Schmerzen, und zu allem
Unglück verrenkte sie den anderen. Tagelang konnte sie ihr Zimmer nicht verlassen. Als sie schließlich noch Fieber bekam,
fand sie alles unausstehlich. Sie war froh, daß Leo Jogiches nicht bei ihr war, weil sie sich mit ihm nur gezankt hätte. Ihre
Wut über das schlechte Befinden vermochte sie kaum zu unterdrücken, hatte sie sich doch für das Frühjahr 1899 so viel vorgenommen.
Wenn sie auf dem nächsten Parteitag beweisen wollte, daß sie für die Polemik gegen Bernstein und seine Anhänger eine wichtige
Person auf dem linken Flügel der Partei war, dann mußte sie sich in der Presse und auf Versammlungen noch bewähren und engeren
Kontakt zu einflußreichen Parteimitgliedern aufbauen.
Bruno Schoenlank besuchte sie jetzt häufiger, wenn er zu Reichstagssitzungen nach Berlin kam, und zwar nicht nur, um neue
Artikel oder Rezensionen zu bestellen, sondern auch, um ihre Gesellschaft zu genießen und Ideen für seine parlamentarische
Tätigkeit zu erhalten. Der Mann mochte Rosa Luxemburg – zum Mißfallen von Leo Jogiches. Es amüsierte sie,
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