Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Resolution einstimmig angenommen wurde: |130| »Die Parteiversammlung des 12. und 13. sächsischen Reichstagswahlkreises erklärt sich mit den Ausführungen der Referentin
Genossin Dr. Rosa Luxemburg einverstanden. Sie erklärt es für eine unbedingte Notwendigkeit, daß der Parteitag in Hannover
mit dem Opportunismus in Theorie und Praxis eine gründliche Abrechnung hält. Die Parteiversammlung erwartet von dem Parteitag
eine entschiedene Stellungnahme, die der opportunistischen Taktik und Auffassung einen Riegel vorschiebt. Die Versammlung
erblickt in der proletarisch-revolutionären Taktik die einzige Gewähr des Fortschritts und des endlichen Sieges der Arbeiterklasse,
deren Endziel die Eroberung der politischen Macht und die Zertrümmerung der Lohnsklaverei ist.« 157
Als sie mit einer ähnlichen Rede am 5. September in Berlin in den Arnimhallen auftrat, löste sie stürmische Debatten aus.
Heine, der dort referiert hatte, höhnte, sie betreibe ein »equilibristisches Begriffsspiel« mit »Versumpfung«, »Kompromiß«,
»Kanonen«, »Opportunismus« und brüstete sich als Herr der Situation. 158 Rosa Luxemburg habe im III. Berliner Kreis sehr schlecht abgeschnitten, teilte Ignatz Auer Bernstein mit. »Da lieber doch
gleich wieder zurück zur katholischen Kirche. – Ich hatte bisher die Rosa nicht für so ungeschickt gehalten, so etwas zu vertreten.
Sie hat auch in Leipzig nicht geschickt plädiert. Sie wird auch in Hannover abfallen […]. Sind wir auch theoretisch den Gegnern
nicht gewachsen – nicht jeder hat das Zeug zum Kirchenvater – so stellen wir gegenüber der Phrase und dem ungezogenen Tam-Tam
unseren Mann. Wenn es aber zur ›reinlichen Scheidung‹ kommen sollte – woran übrigens kein Mensch im Ernste denkt – dann stünden
Clara und Rosa allein. Nicht einmal ihre [Liebhaber?] gingen mit ihnen, weder ihre früheren noch die jetzigen.« 159
Rosa Luxemburg wehrte sich gegen die tendenziöse Berichterstattung des »Vorwärts« mit einer Berichtigung, die auch von der
»Leipziger Volkszeitung« abgedruckt wurde. Sie verfocht ihren Standpunkt, Freiheit der Kritik im weitesten Umfang stets zu
gewähren, meinte jedoch, daß die Sozialdemokratie kein Diskutierklub, sondern eine Kampfpartei sei, »die wohl das Recht hätte,
ihren Mitgliedern zuzurufen: Wollt ihr auf einem anderen Boden stehen, wohlan, so geht in Gottes Namen, und |131| gesellt euch zu denen, mit denen ihr übereinstimmt;
wollt ihr aber mit uns in Reih und Glied kämpfen, dann stellt euch auf unseren Boden
.« 160
Luxemburg schrieb für die »Leipziger Volkszeitung« weiter in ihrer kämpferischen Diktion. In diesen Septembertagen des Jahres
1899 festigten sich ihre Beziehungen zur Familie Kautsky. Da ihre Unterkunft jetzt in der Nähe der Kautskyschen Wohnung lag,
besuchten sie sich gegenseitig fast täglich und berieten vieles miteinander.
Das Mandat zum Parteitag erhielt Rosa Luxemburg aus Ratibor und Reuß ä. L. Sie freute sich, daß Leo Jogiches sie in Berlin
abholen und mit ihr gemeinsam nach Hannover fahren wollte. Rosa Luxemburg fühlte sich gut vorbereitet, hatte sie doch in ihrer
Artikelserie »Zum kommenden Parteitag« in der »Leipziger Volkszeitung« noch einmal ihren Standpunkt in der Bernsteindebatte
verdeutlicht und die Grundsätze des Erfurter Programms verteidigt. Sie rief August Bebel als Kronzeugen an, daß »Staat und
Gesellschaft von heute Todfeinde der Sozialdemokratie sind« 161 , und forderte: »Die Losung auf dem Parteitag muß also gegenüber den erwähnten Schlagworten sein: Die Freiheit der Kritik
in allen Ehren und das Heiligtum der ›wissenschaftlichen Untersuchungen‹ unangetastet, aber gerade nachdem die ›Kritik‹ der
Bernstein-Gruppe lange und ungestört genug geübt wurde, um ihren inneren Charakter und ihre Tendenzen bloßzulegen, ist es
Zeit, daß die Partei als ein politisches Ganzes zu den Ergebnissen dieser Kritik Stellung nimmt und erklärt: Diese Kritik
ist eine Theorie der Versumpfung, für die es in unseren Reihen keinen Raum gibt.« 162
Mit der Forderung, daß der Freiheit der Kritik Grenzen gesetzt sein müssen durch die programmatischen Grundsätze der Partei,
hatte sie die Existenzbedingungen des Revisionismus angegriffen. Auer, David, Fendrich, Woltmann, Richard Fischer, Heine und
Schippel schworen sich dagegen auf eine Taktik der »Verständigung, des freien Meinungsausdrucks« 163 ein. Auer riet Bebel, in die Resolution
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